Ein Kommentar von Dagmar Henn
Suzy Kies ist eine hagere Brünette mit der Ausstrahlung einer Betschwester. Vor einigen Jahrzehnten hätte sie gewiss darum gerungen, Büchereien von jeder Andeutung von Sexualität oder sonstiger Unmoral zu reinigen. Aber auch Betschwestern gehen mit der Zeit. Daher befasste sie sich damit, Bücher zu identifizieren, die die kanadischen Ureinwohner unangemessen darstellen. Sie tat dies als stellvertretende Vorsitzende der Ureinwohner-Kommission der Liberalen Partei Kanadas, die auch den Ministerpräsidenten Justin Trudeau stellt. Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass im Zuge ihrer Bereinigungskampagne auch Bücher verbrannt wurden. Damit begann der Skandal.
Die Bücherverbrennung fand bereits im Jahr 2019 statt, der Sender Radio Canada hat aber erst kürzlich davon erfahren. Kies' ursprünglicher Plan war, an allen mit einbezogenen Schulen solche Verbrennungen abzuhalten und die Asche anschließend als Dünger für neu zu pflanzende Bäume zu verwenden. Dieses Ritual nannte sie "der Erde zurückgeben". COVID-19 verhinderte die Realisierung des vollen Programms, sodass es bei einer einzelnen Verbrennungsaktion blieb.
Eine reichhaltige Auswahl an Büchern fiel der Aussonderung zum Opfer. Drei Bände von Lucky Luke finden sich beispielsweise darunter, Asterix in Amerika, aber auch ein Jugendroman, der von einem Ethnologen geschrieben wurde, der tatsächlich Algonquin war.
"Wir vergraben die Asche von Rassismus, Diskriminierung und Stereotypen in der Hoffnung, dass wir in einem inklusiven Land aufwachsen werden, in dem alle in Wohlstand und Sicherheit leben können", hieß es über die Aktion in einem Video für Schüler.
Die Selbstbeschreibung des Projekts sprach davon, "eine Geste der Offenheit und Versöhnung zu machen, indem wir Bücher in unseren Büchereien ersetze, die überholte Inhalte und negative Stereotype über die ersten Nationen und die Völker der Métis und Inuit verbreiten".
Der Rat der Katholischen Schulen Providence, der im Südwesten der kanadischen Provinz Ontario Grundschulen und weiterführende Schulen betreibt, erklärte, "viele Wissensbewahrer und Ältere der Ureinwohner nahmen teil oder wurden in unterschiedlichen Phasen zur Beratung hinzugezogen, von der Entwicklung des Konzepts über die Bewertung der Bücher bis zur Initiative der Baumpflanzung".
Suzy Kies, die von sich behauptet, mehrere Völker der Ureinwohner in ihrer Abstammungslinie zu haben, dürfte die Hauptberaterin gewesen sein. Inzwischen sagte die Sprecherin des Schulrats Lyne Cosette: "Wir wussten nicht, dass Suzy Kies nach dem Gesetz keinen Ureinwohnerstatus hat und glaubten ernsthaft, dass wir die Möglichkeit hätten, mit einem erfahrenen Wissenshüter der Ureinwohner zu arbeiten. Sie wurde uns von anderen Größen auf diesem Gebiet empfohlen und weil sie mit mehreren anderen Schulbehörden zusammenarbeitete, vertrauten wir ihr. Wir waren der Ansicht, dass ihre Erfahrung uns in unseren Initiativen zur Versöhnung leiten könnte".
Der Sender Radio Canada, der die Geschichte der Bücherverbrennung ursprünglich aufgedeckt hatte, hat sich inzwischen ausführlicher mit dem Stammbaum von Suzy Kies befasst und auf mütterlicher Seite den ersten kanadischen Ureinwohner im Jahr 1780 entdecken können. Für eine Frau, die ihre politische Karriere auf ihre vermeintliche Abstammung aufbaute, ein herber Schlag: Sie musste von ihrer Stellung in der Kommission der Liberalen zurücktreten.
Die konservative Boulevardzeitung Toronto Sun verzeichnet das mit einer gewissen Befriedigung. Dem Blatt zufolge hatte das "befremdliche Buchverbrennungsritual Erinnerungen an das Deutschland der 1930er heraufbeschworen".
Insgesamt waren 155 verschiedene Bücher entfernt worden, 152 durften bleiben und 193 werden noch bewertet. Im Ganzen wurden in den betroffenen 30 Schulen 4.716 Bücher entfernt, das sind durchschnittlich 156 Bücher je Schule.
Eines der Bücher, das den Titel "Cowboys und Indianer" trägt, wurde allein wegen des Titels entfernt. Ein anderes mit dem Titel "Die Eroberung des Westens: Ureinwohner, Pioniere und Siedler" fiel der Säuberung wegen des Begriffs "Eroberung" zum Opfer.
Dabei haben Indigene in Kanada weit handfestere Probleme als jene, auf die sich die Indianerdarstellerin Suzy Kies kaprizierte. So liegt ihr Medianeinkommen bis zu einem Drittel unter dem der kanadischen Gesamtbevölkerung, jeder fünfte wohnt in einer Behausung, die dringend reparaturbedürftig ist (insgesamt sind es nur 6 Prozent) und ihre Lebenserwartung ist zwischen zehn und fünfzehn Jahren niedriger, während die Selbstmordrate um ein Vielfaches höher sind. Für eine tatsächliche Versöhnung gäbe es viel zu tun – aber nicht in Büchereien.
In Bezug auf die Darstellung der Ureinwohner in der Literatur hatte sich Suzy Kies sogar zu folgender Aussage verstiegen:
"Das ist das Problem, sie haben historische Forschung auf der Grundlage der europäischen Berichte geschrieben."
"Wir versuchen nicht, Geschichte auszulöschen. Wir versuchen, sie zu korrigieren".
Die falsche Ureinwohnerin ging in ihrer "woken" Karrierestrategie so weit, sich selbst als Sprecherin einer Minderheit zu inszenieren und auf dieser Grundlage kulturvernichtende, tatsächlich stark an die Bücherverbrennung der Nazis erinnernde Rituale zu erfinden. Denn die Ähnlichkeit liegt nicht in der technischen Tatsache, dass Bücher verbrannt werden. Sie liegt im Ritual und in der politischen Nutzung einer Symbolik der "reinigenden Flammen".
Und sie liegt in der Überheblichkeit, sich selbst als Gipfel- und Endpunkt der menschlichen Geschichte zu betrachten und daraus das Recht abzuleiten, alle Widersprüchlichkeiten der Vergangenheit auszuradieren. Denn die Gegenwart, da unterscheidet sich eine Suzy Kies nicht von einem Heinrich Himmler, ist eine einzige Volksgemeinschaft, die sich nur noch ihrer Gegner entledigen muss, um vollendet zu sein.
Suzy Kies ist mittlerweile gescheitert und der betroffene Schulrat hat die ganze Aktion auf Eis gelegt. Aber die übrige "Woke"-Blase und deren kulturfeindliche "Cancel-Culture" hat leider den Sprung über den großen Teich längst geschafft und wird uns noch länger erhalten bleiben.
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