Lawrow zu Afghanistan: Es ist kontraproduktiv, Werte "von außen" aufzuzwingen

Der russische Außenminister macht die USA für die Situation in Afghanistan verantwortlich und kritisiert ihr Vorgehen, Regierungsformen und Werte "von außen" aufzuzwingen. Moskau habe Lawrow zufolge nicht vor, die Taliban einseitig als die legitime Regierung anzuerkennen.

Während seines Auftritts in der Immanuel-Kant-Universität in Kaliningrad hat sich der russische Außenminister Sergei Lawrow zur aktuellen Situation in Kabul geäußert und die Ereignisse nach dem Abzug der US- und NATO-Truppen aus Afghanistan einen "Absturz" genannt. Der Minister übte scharfe Kritik an den Aktivitäten der USA in diesem asiatischen Staat:

"Es ist kontraproduktiv, Afghanistan fremde Regierungsformen von außen aufzuzwingen. Die USA haben versucht, dort etwas zu schaffen, was sie eine Demokratie nennen."

Der russische Top-Diplomat warf Washington vor, keine Rücksicht auf Traditionen anderer Nationen zu nehmen und westliche Werte gewaltsam aufzuzwingen:

"Sich in dieser Situation so zu verhalten, als ob es möglich wäre, das afghanische Volk dazu zu zwingen, nach den Prinzipien zu leben, nach denen der Westen lebt, ist naiv. Dies ist wieder ein Versuch, dem Rest der Welt die eigenen Werte aufzuzwingen. Dabei werden die Traditionen völlig ignoriert, nach denen andere Länder seit Jahrhunderten leben."

In Bezug auf die Politik Russlands gegenüber den Taliban sagte Lawrow, Moskau habe einstweilen keinerlei Schritte in Richtung einer einseitigen Anerkennung der Organisation als die legitime Regierung Afghanistans geplant. Russland trete für die Aufnahme eines Dialogs zur friedlichen Konfliktlösung in Afghanistan ein, an dem alle ethnischen und religiösen Gruppen teilnehmen könnten. Dem Minister zufolge begrüße Moskau die Erklärungen der Taliban bezüglich der Bildung einer Regierung, bei der auch andere Gruppen vertreten sein würden.

Angesichts des NATO-Truppenabzugs war die Lage in Afghanistan eskaliert. Die Taliban besetzten einen Großteil der Territorien des Landes und marschierten am Sonntag in die Hauptstadt Kabul ein. Der gestürzte Präsident Aschraf Ghani floh aus dem Land. Der Taliban-Sprecher Mohammad Naim erklärte, der Krieg, der 20 Jahre angedauert habe, sei vorbei.

Redaktioneller Hinweis: In einer vorherigen Version wurde behauptet, dass die Taliban in Deutschland als Terrororganisation geführt werden. Das ist falsch und wurde korrigiert. 

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