Jamaika sucht späte Gerechtigkeit und bereitet eine Reparationsforderung in Milliardenhöhe gegenüber dem Vereinigten Königreich vor. Diese soll eine Entschädigung leisten für den Jahrzehnte währenden Handel mit und die Ausbeutung von Sklaven in der früheren britischen Kolonie. Die jamaikanische Kulturministerin, Olivia Grange, sprach mit der Nachrichtenagentur Reuters über die Motivation für die Forderungen:
"Wir hoffen auf eine Reparations-Gerechtigkeit in allen zu erwartenden Formen, wenn sie wirklich bestrebt sind, die Ungerechtigkeiten zu begleichen und für die Schäden aufzukommen, die unsere Vorfahren erleiden mussten."
Jamaika war seit 1509 eine spanische Kolonie. Die Spanier rotteten die ursprüngliche indigene Bevölkerung aus und brachten die ersten afrikanischen Sklaven nach Jamaika. 1655 eroberten englische Truppen die karibische Insel, die fortan bis zur Unabhängigkeit 1962 eine britische Kolonie war. Britische Sklavenhändler waren führend im gesamten atlantischen Sklavenhandel und Jamaika war dabei ein zentraler Umschlagspunkt und Sklavenmarkt – auch für die Kolonien in Nordamerika. Auf der Insel selbst setzten britische Plantagenbesitzer Sklaven in Massen ein, um Zuckerrohr, Bananen und andere Kolonialprodukte anzubauen.
1807 wurde der Sklavenhandel durch ein britisches Gesetz verboten – aber erst 1834 wurde die Einhaltung dieses Verbots aktiv durch britische Behörden überwacht. Laut Schätzungen der UNO wurden insgesamt mindestens 15 Millionen Menschen Opfer des Sklavenhandels. Die Nationalbibliothek von Jamaika geht davon aus, das etwa 600.000 Afrikaner als Sklaven nach Jamaika gebracht wurden.
Die jamaikanische Kulturministerin betont:
"Unsere afrikanischen Vorfahren wurden gewaltsam aus ihrer Heimat geraubt und haben beispiellose Gräuel in Afrika erlebt, um dann Zwangsarbeit zum Wohle des Britischen Empire zu leisten."
Nach dem Verbot der Sklavenhaltung entschädigte die britische Regierung die Sklavenhalter auf Jamaika mit Anleihen von etwa 20 Millionen Pfund – eine immense Summe zu diesem Zeitpunkt. Laut Reuters wurden erst im Jahr 2015 die letzten daraus resultierenden Zinszahlungen abgewickelt.
Auf diese Summe beruft sich die aktuelle jamaikanische Reparations-Petition, die von dem Parlamentsabgeordneten Mike Henry von der aktuell regierenden jamaikanischen Labour Party gestartet wurde. Nach heutigen Maßstäben soll diese Summe etwa 7,6 Milliarden Pfund (8,9 Milliarden Euro) betragen. Genau diese Summe fordert Henry nun von der britischen Regierung und argumentiert:
"Ich fordere, dass die gleiche Menge an Geld an die Sklaven gezahlt wird, die damals an die Sklavenbesitzer gezahlt wurde. Ich tu das, weil ich mein ganzes Leben lang gegen die Sklaverei gekämpft habe, die menschliches Leben enthumanisiert hat."
Die Petition soll mit Unterstützung des jamaikanischen Parlaments und nach einer ausführlichen Bearbeitung durch den jamaikanischen Generalstaatsanwalt und anderem juristischem Fachpersonal direkt der britischen Königin Elizabeth II. überstellt werden, die nach wie vor Staatsoberhaupt des Commonwealth-Mitglieds Jamaika ist.
Die Petition trifft auf ein Klima in Großbritannien, das in den letzten Jahren stark geprägt war von dem Rassismus-Diskurs. Als Folge der "Black Lives Matter"-Bewegung in den USA kam es in Großbritannien in den letzten Jahren zu Akten des Vandalismus und des Entfernens von Statuen, die mit dem Sklavenhandel in Verbindung gebracht werden – so etwa die Statue des britischen Politikers Edward Colston in Bristol City. Colston war verantwortlich für die Versklavung von Zehntausenden Menschen. Die Statue wurde zunächst ins Hafenbecken geworfen und später von einem Rettungsteam geborgen und in ein nahegelegenes Museum gebracht.
Im gleichen zeitlichen Rahmen nahmen die jamaikanischen Forderungen nach Reparation und weiterer Loslösung vom Vereinigten Königreich konkrete Züge an. So forderte der jamaikanische Parlamentsabgeordnete Mikael Phillips vergangenen Dezember die Entfernung der britischen Monarchin als jamaikanisches Staatsoberhaupt. Im Januar 2021 hielt die jamaikanische Kulturministerin Grange einen Vortrag anlässlich des Gedenktages für die afrikanisch stämmige Kultur in Jamaika. Grange betonte dabei, dass mit Reparationen allein das Thema Sklaverei nicht erledigt sei:
"Reparationen zu leisten für Sklaverei und Kolonialismus erfordert, dass die Staaten nicht nur zu ihrer Verantwortung stehen für spezifisches, historisches Unrecht, sondern auch zeitgenössische Strukturen der ethnischen Ungerechtigkeit, Ungleichheit, Diskriminierung und Unterordnung verändern, die ein Produkt sind von Jahrhunderten des Rassendenkens aufgebaut durch Sklaverei und Kolonialismus."
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