Nach monatelangem Suchen ist es wohl bald soweit: Die künftige US-Botschafterin in Berlin soll Amy Gutmann heißen. Noch muss das neue Amt der Politikwissenschaftlerin mit deutsch-jüdischen Wurzeln formell bestätigt werden. Washington stellte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bereits am 18. Juni ein Ersuchen auf Zustimmung zu der Personalie bei der deutschen Botschaft in den USA. Derzeit wird es noch vom Bundespräsidialamt geprüft. Zuerst hatte der Spiegel berichtet. Nach einer offiziellen Nominierung durch Biden müsste dann der US-Senat noch zustimmen.
Gutmann würde einen Posten besetzen, der seit mehr als einem Jahr vakant ist. Der von Bidens Vorgänger Donald Trump entsandte Botschafter Richard Grenell war Anfang Juni vergangenen Jahres zurückgetreten. Seitdem wird die Botschaft von der Gesandten Robin Quinville kommissarisch geführt.
Richard Grenell löste mit seinem undiplomatischen Gebaren immer wieder Kritik aus. So bezeichnete der Linken-Politiker Alexander Neu Grenells Verhalten als "ungehobeltes Cowboy-Gebaren", das einem "mafiotischen Schutzgelderpresser" gleiche. Der ehemalige SPD-Chefs Martin Schulz bezeichnete den US-Botschafter gar als einen "rechtsextremen Kolonialoffizier".
Die persönliche Familiengeschichte Gutmanns hingegen ist stark durch die Geschichte des "Dritten Reiches" geprägt. Ihr Vater war das jüngste von fünf Kindern einer orthodoxen jüdischen Familie in Feuchtwangen. Als Adolf Hitler die Macht übernahm, lebte die Familie nahe Nürnberg. Gutmanns Vater floh als Student. Nachdem ihm in den USA Asyl verweigert wurde, überzeugte er die Familie, nach Bombay in Indien zu fliehen, wo er eine Metallfabrik gründete. In einem Zeitungsinterview mit dem Daily Pennsylvanian bestätigte Gutmann im Jahr 2013: "Es ist wahr, dass meine gesamte Familie ausgelöscht worden wäre, hätte mein Vater nicht getan, was er getan hat." Auf Gutmanns Initiative hin wurde an der University of Pennsylvania, dessen Präsidentin sie seit 2004 ist, eines der größten Holocaust-Archive der Welt eingerichtet.
Amy Gutmann wurde 1949 im New Yorker Stadtteil Brooklyn geboren. Ihren Master schloss sie an der London School of Economics im Fach Politikwissenschaft ab. An der University of Pennsylvania in Princeton, einer Ivy-League-Universität, lehrte sie zunächst als Professorin, nachdem sie den Ph.D.-Doktorgrad von der Elite-Universität Harvard verliehen bekam.
Sie ist eine prominente Verfechterin des Zuganges zu Bildung und Gesundheitsversorgung auch für Menschen aus benachteiligten Haushalten. Pennsylvanias Finanzhilfepolitik für bedürftige Studenten ist die größte des Landes und hat seit dem Jahr 2008 Zuschüsse in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar an Studenten und ihre Familien vergeben. Ihr Vertrag an der University of Pennsylvania läuft bis zum Jahr 2022, womit Gutmann die dienstälteste Universitätspräsidentin in der Geschichte Pennsylvanias ist. Gutmann wurde von der Zeitschrift Fortune als eine der "50 größten Führungspersönlichkeiten der Welt" ausgezeichnet und erhielt andere Preise für ihr Engagement.
Allerdings gab es während ihrer Zeit an der Elite-Uni auch Kritik. Im Jahr 2014 wurde sie von Mitgliedern der Polizei von Pennsylvania kritisiert, weil sie an einem studentischen "Die-in"-Protest teilnahm. Dieser symbolisierte die 4,5 Stunden, die der Körper von Michael Brown, einem schwarzen Teenager, auf der Straße lag, nachdem er von einem weißen Polizisten in Ferguson erschossen wurde. Nachdem die Demonstranten Gutmanns "Holiday Party" gestürmt hatten, legte sich Gutmann mit Studenten auf den Boden als Zeichen der Solidarität mit dem Mordopfer Brown. Mitglieder der Polizei von Pennsylvania reagierten öffentlich auf die Demonstration der Unterstützung, wobei der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft den Auftritt kritisierte und der Polizeichef Gutmanns Aktionen verteidigte.
Sollte Gutmann Botschafterin in Berlin werden, könnte dies als Zeichen für einen Neuanfang in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ausgelegt werden, nachdem Vorgänger Grenell der Bundesregierung sowie den hiesigen Unternehmen jegliche Souveränität abzusprechen schien. Schon kurz nach der Ernennung zum Botschafter im Mai 2018 warnte er deutsche Unternehmen davor, mit Iran zusammenzuarbeiten.
Aus Verärgerung über aus seiner Sicht unzureichende deutsche Militärausgaben drohte er, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen. Auch wegen der Ostseepipeline Nord Stream 2 drohte Grenell in harschem Ton Sanktionen gegen deutsche Unternehmen an. Im politischen Berlin machte er sich mit seiner rabiaten Art kaum Freunde. Aus der Opposition kamen sogar vereinzelt Forderungen, ihn zur "unerwünschten Person" zu erklären und damit quasi auszuweisen.
"Mit Amy Gutmann verlässt sich Joe Biden auf eine erfahrene Brückenbauerin. Sie tritt ein schwieriges Erbe nach Richard Grenell an", so der CDU-Politiker Johann Wadephul gegenüber Reuters.
Das Ersuchen nach Zustimmung zu Gutmann wurde wenige Tage vor dem Besuch von US-Außenminister Antony Blinken in Berlin vergangene Woche eingereicht. Bei der zweitägigen Visite hatte Blinken die Partnerschaft zu Deutschland in den höchsten Tönen gewürdigt: "Die Vereinigten Staaten haben keinen besseren Partner, keinen besseren Freund auf der Welt als Deutschland", sagte er.
Was die Loyalität zu Präsident Joe Biden betrifft, könnten harmonische Auftritte bereits während der Administration von Barack Obama sowie auch die Zusammenarbeit an der Universität die Richtung weisen. Gutmann lobte Joe Biden schon vor seiner Präsidentschaft als einen "der größten Staatsmänner unserer Zeit". Biden leite in Washington, D.C. das Penn Biden Center for Diplomacy and Global Engagement, gleichzeitig hatte er ein Büro auf dem Campus der von Gutmann geführten Universität in Philadelphia. Obama hatte Gutmann im Jahr 2009 als Vorsitzende der Regierungskommission für Fragen der Bioethik berufen.
Gutmann ist verheiratet mit Michael Doyle, Professor für Recht und Internationale Beziehungen an der Columbia University. Er schrieb unter anderem zur Theorie über Demokratischen Frieden und diente als Assistent des Generalsekretärs und Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan. Gutmann selbst hat zahlreiche Werke zu verschiedenen Themen veröffentlicht, unter anderem über den Wert von Bildung und Beratung in der Demokratie, über die Bedeutung des Zugangs zu Hochschulbildung sowie Gesundheitsversorgung, über "das Gute, das Schlechte und das Hässliche" der Identitätspolitik und über die wesentliche Rolle der Ethik.
Die neue Botschafterin würde vor unmittelbare Herausforderungen gestellt, darunter der Streit um die so gut wie fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2, die auch von der neuen US-Regierung abgelehnt wird. US-Außenminister Antony Blinken sagte nach seinem Berlin-Besuch vergangene Woche gegenüber dem Spiegel, die Sanktionen seien weiterhin nicht vom Tisch.
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