Die Zwischenlandung einer Ryanair-Maschine auf dem Flughafen Minsk und die anschließende Verhaftung des Politaktivisten Roman Protassewitsch durch weißrussische Behörden schlugen höchste Wellen. Der Vorfall katapultiert die Krise in dem osteuropäischen Land wieder in die Schlagzeilen und sorgt für weiteren Druck auf den Präsidenten Alexander Lukaschenko. Politiker der Europäischen Union (EU) verurteilten den Vorfall. "Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben", schrieb die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen am Sonntagabend bei Twitter.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas sprach gar von einem dreifachen Angriff auf die "Sicherheit des Luftverkehrs, auf die Pressefreiheit und auf europäische Bürger*innen an Bord".
Maas drohte außerdem:
"Jedem Diktator, der mit derlei Gedanken spielt, muss klargemacht werden: Dafür gibt es einen bitteren Preis zu zahlen."
Bereits vor jeglicher unabhängiger internationaler Untersuchung wurden auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU am Montag neue Sanktionen gegen Weißrussland beschlossen. Weißrussische Fluggesellschaften sollen künftig den Luftraum der EU nicht mehr nutzen dürfen und von Starts und Landungen an Flughäfen in der EU ausgeschlossen sein. Fluggesellschaften mit Sitz in der EU sind darüber hinaus aufgefordert, den Luftraum über Weißrussland zu meiden.
Das weißrussische Verkehrsministerium hat am Dienstag den Funkverkehr zwischen dem Ryanair-Flug FR4978 herausgegeben. Aus Passagen der protokollierten Niederschrift geht hervor, dass die Piloten nach Bekanntgabe einer Bombendrohung aus freien Stücken nach Minsk geflogen sind, obwohl Vilnius schneller zu erreichen war.
Das Verkehrsministerium betont, dass die Piloten niemals zu einer Landung in Minsk gezwungen wurden und aus freien Stücken den Flughafen Minsk angeflogen haben.
Der verantwortliche Fluglotse versuchte, auch Kontakt mit dem zuständigen Büro der Fluggesellschaft in Vilnius herzustellen. Unter der von der Cockpitbesatzung übermittelten Telefonnummer war dort jedoch niemand zu erreichen.
Das weißrussische Verkehrsministerium versicherte, dass zur weiteren Prüfung des Sachverhalts Vertreter der ICAO, IATA, EASA sowie der Zivilluftfahrtbehörden der EU und der USA eingeladen werden.
Auszugsweise hier ein Wortlaut aus dem Funkverkehr:
Pilot: Verstanden, in diesem Fall bitten wir um Halten auf der aktuellen Position.
ATC: RYR 1TZ Roger, halten Sie über Ihrer Position, halten Sie FL390 dreht nach eigenem Ermessen.
Pilot: Ok, wir halten nach eigenem Ermessen an der gegenwärtigen Position und bleiben bei FL390 RYR 1TZ.
Pilot: 09:47:12: RYR 1TZ wir deklarieren einen Notfall MAYDAY, MAYDAY, MAYDAY RYR 1TZ. Unsere Absichten wären, zum Flughafen Minsk umzudrehen
ATC: RYR 1TZ MAYDAY, Roger. Bereithalten für Kursangaben.
Die Anwesenheit eines Kampfjets MiG-29 wird in dem Protokoll überhaupt nicht erwähnt. Weiterhin geht daraus auch hervor, dass sich 133 Personen an Bord des Flugzeugs befunden haben. Heiko Maas weiß angeblich jedoch von mehr als 170 Passagieren.
Der Direktor des Instituts für Luft- und Weltraumrecht AEROHELP Oleg Aksamentow, ein Experte auf dem Gebiet des Luftfahrtrechts, erklärt: "Geht man von den derzeit bekannten offiziellen Daten aus, die von Minsk zur Verfügung gestellt wurden, so erfolgte die außerplanmäßige Landung der Ryanair-Passagiermaschine Athen-Vilnius auf dem Flughafen der weißrussischen Hauptstadt in voller Übereinstimmung mit den Regeln für internationale Flüge."
Präsident Lukaschenko verteidigte sich am Mittwoch vor dem Parlament Weißrusslands: "Ich habe rechtmäßig gehandelt, indem ich die Menschen geschützt habe – nach allen internationalen Regeln."
"Dass die Maschine mit einem Kampfjet vom Typ MiG-29 zur Landung gezwungen wurde, ist eine absolute Lüge!", sagte er weiter. Weißrussland habe aus Sicherheitsgründen gehandelt, weil das Flugzeug über das Atomkraftwerk des Landes geflogen sei.
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