Der Krieg gegen Afghanistan begann im Herbst 2001 durch die von den USA geführte Militärintervention Operation Enduring Freedom (Operation dauerhafte Freiheit). Offizielles Ziel war es, die Taliban-Regierung zu stürzen und dadurch mutmaßlich auch dem Terrornetzwerk Al-Qaida das Handwerk zu legen.
Einen oder vielmehr mehrere Haken hatte die ganze Angelegenheit jedoch von Beginn an: Die selbst ernannten Gotteskrieger der Al-Qaida sind selbst ein Geschöpf der USA. Ebenso wie die Taliban, die als Mudschahedin im Kampf gegen die Sowjetunion die vollste Unterstützung auch der Vereinigten Staaten genossen und von diesen zur schlagkräftigen Rebellengruppe geformt wurden. Hinzu kommen offizielle Angaben, wonach 15 der 19 Attentäter des World Trade Centers aus Saudi-Arabien stammten und nicht aus Afghanistan.
Auch Terrorfürst Osama bin Laden war ein Saudi und ehemaliger Mudschahed im Kampf gegen die Sowjets, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, den Sturz der "pro-kommunistischen" afghanischen Regierung durch die USA zu vereiteln.
So heißt es, dass von 1982 bis 1992 etwa 35.000 Muslime aus 43 verschiedenen Ländern eine Ausbildung erhielten und Kampferfahrung in Afghanistan und Pakistan sammelten. Insgesamt hatten über 100.000 Muslime Kontakt zu den Netzwerken des Widerstandskampfes gegen die Sowjetunion und die Regierung von Mohammed Nadschibullah. Getötet wurde bin Laden auch nicht in Afghanistan, sondern im benachbarten Pakistan.
Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer ließ nun jedoch ein gänzlich anderes Geschichtsverständnis erkennen. Mehr als 160.000 Angehörige der Bundeswehr haben nach Erkenntnissen der Ministerin Dienst in Afghanistan geleistet. Die Frage nach dem Wert des Einsatzes hält Kramp-Karrenbauer für zumindest "nachvollziehbar".
"Das ist eine nachvollziehbare und berechtigte Frage, denn wir dürfen nicht vergessen, dass 59 Soldaten im Einsatz am Hindukusch ihr Leben gelassen haben. Wir haben sehr viele Verwundete an Körper und an Seele. Die Hinterbliebenen und die Familien stellen sich diese Frage."
Vergessen scheint die CDU-Politikerin allerdings zu haben, dass nicht nur 59 Bundeswehrsoldaten ihr Leben für "die gute Sache" ließen, sondern bis zu 150.000 Afghanen – die allermeisten keine Talibankämpfer – die Befreiung ihres Landes durch das westliche Militärbündnis mit dem Leben bezahlten.
Allein seit Beginn der UN-Dokumentation 2009 wurden in Afghanistan über 100.000 zivile Opfer gezählt. Die Zahl der Binnenvertriebenen erhöhte sich bis Ende 2019 auf 2,99 Millionen. Hinzu kommen 461.000 Menschen in 32 der 34 Provinzen, die 2019 vertrieben wurden. Bis Juni 2020 kamen demzufolge noch einmal 86.000 hinzu.
Laut der Verteidigungsministerin gilt es nun, aus dem Einsatz "Lehren zu ziehen". Die Bundeswehrsoldaten könnten stolz auf das Erreichte sein und darauf, sich im "Kampf bewährt" zu haben.
"Eine erste Bilanz ist: Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben sich im Kampf bewährt."
Zum positiven Kriegsresümee der Ministerin zählt des Weiteren, das Hauptziel nach 9/11 erreicht zu haben – den erfolgreichen Kampf gegen den "internationalen Terrorismus".
"Wir haben es geschafft, dass über 20 Jahre hinweg Afghanistan kein sicherer Hafen für internationalen Terrorismus war – und das war ja das Hauptziel nach 9/11."
Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright wurde einst gefragt, ob der Irakkrieg die 500.000 toten Kinder wert gewesen sei. Sie antworte, dass der Einsatz den Preis wert gewesen sei. Es stellt sich die Frage, was die deutsche Außenministerin angesichts des enormen Blutzolls der Afghanen auf die gleiche Frage antworten würde.
Zudem galten die Jahre zuvor noch von den USA massiv unterstützten Gotteskrieger schon 2009 als vollständig aus Afghanistan verschwunden. Das behauptete zumindest der damalige Oberkommandierende der NATO in Afghanistan, US-General Stanley McChrystal.
"Ich habe keine Hinweise darauf, dass Al-Qaida derzeit in Afghanistan eine größere Präsenz hat!"
Derweil bemüht "AKK" ihre Fantasie, um daraus einen weiteren Grund für den zwanzigjährigen Krieg unter Beteiligung der Bundeswehr abzuleiten:
"Ich stelle mir immer die Frage, wie das Land aussehen würde, wenn die Taliban in den letzten 20 Jahren durchregiert hätten. Glauben wir, dass es irgendeine Schule für Mädchen und Frauen gegeben hätte? So hat es für eine Generation die Chance gegeben sich zu verändern."
Die NATO entschied sich vor wenigen Tagen dazu, bis zum 1. Mai den Abzug aus Afghanistan einzuleiten. Zuvor hatten sich die USA als größter Truppensteller auf einen Abzug bis zum 11. September festgelegt. Im Windschatten der US-Armee sollte die Bundeswehr "schon bis Mitte August Afghanistan verlassen". Auf Drängen der USA soll es nun noch etwas zügiger gehen. Deutschland stellt mit 1.100 Soldaten nach den USA das zweitgrößte Kontingent in der etwa 10.000 Soldaten starken NATO-Truppe.
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