Nach dem Bekanntwerden der Absicht von US-Präsident Joe Biden, die Militärpräsenz der USA in Afghanistan bis zum kommenden Herbst beenden zu wollen, überlegen sich nun andere Mitglieder der internationalen US-geführten Koalition, dem Schritt zu folgen. Am Mittwoch findet im NATO-Hauptquartier eine Sondersitzung der Verteidigungs- und Außenminister des Militärblocks statt, nach der es eine offizielle Bestätigung für die Abzugspläne geben soll. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer setzte sich indessen für einen geordneten Abzug aller NATO-Kräfte nach dem Beispiel der USA ein, indem sie sagte:
"Wir haben immer gesagt, wir gehen gemeinsam rein, wir gehen gemeinsam raus."
Die Politikerin machte ferner klar, dass der Abzug der US-Soldaten zwingend auch den Abzug der Bundeswehr nach sich ziehen würde. Dafür müssten allerdings die Planungen der Bundesrepublik auch in der NATO mit den Planungen der USA synchronisiert werden, so Kramp-Karrenbauer.
Noch vor Beginn des NATO-Gipfels deutete US-Außenminister Antony Blinken in einem gemeinsamen Statement mit dem Generalsekretär der Militärallianz Jens Stoltenberg einen kompletten Abzug aller NATO-Truppen aus Afghanistan an. Man habe gemeinsam mit den Verbündeten die Ziele erreicht, die man sich gesteckt habe, und nun sei es an der Zeit, die Truppen nach Hause zu bringen, sagte er. Ein koordinierter Abzug der NATO-Kräfte aus dem Land werde "in den kommenden Wochen und Monaten" vollzogen, fügte Blinken hinzu.
Die Rückführung von US-Truppen aus Afghanistan war bereits im Februar 2020 unter dem damaligen US-Staatschef Donald Trump beschlossen worden. Laut einem in Doha ausgehandelten Abkommen mit den Taliban verpflichteten sich die Vereinigten Staaten, ihre Truppen und die ihrer internationalen Verbündeten bis zum 1. Mai vollständig aus Afghanistan abzuziehen. US-Regierungsvertreter verwiesen in den vergangenen Wochen allerdings darauf, dass es schon aus logistischen Gründen schwierig werde, die Frist einzuhalten. Zugleich warfen sie den Taliban vor, ihre Verpflichtungen nicht zu erfüllen, weil sie die Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten nicht einstellten und dem Terrorismus nicht abschwörten.
Als neue Frist für ein Ende des Einsatzes legte der amtierende Amtsinhaber Biden den 11. September fest – den 20. Jahrestag der Terroranschläge von New York und Washington, die den Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan im Monat darauf ausgelöst hatten. Ein US-Regierungsvertreter begründete den neuen Termin damit, dass ein überhasteter und schlecht koordinierter Abzug die internationalen Truppe gefährden könnte. Er betonte, der 11. September sei das späteste Datum, um den Abzug abzuschließen. Das Ziel könnte bereits deutlich früher erreicht werden.
Als Reaktion auf die veränderten Pläne der USA schlossen die Taliban am Dienstag ihre Teilnahme an der für das Ende des Monats geplanten Friedenskonferenz in Istanbul vor einem vollständigen Abzug der internationalen Truppen aus. Man werde an keiner Konferenz teilnehmen, die Entscheidungen über Afghanistan treffen soll, bis sich alle ausländischen Streitkräfte komplett aus dem Land zurückgezogen hätten, schrieb ein Sprecher des politischen Büros der Taliban in Doha, Mohammad Naeem, auf Twitter. Zuletzt drohten die Taliban außerdem neue Gewalt gegen die NATO-Truppen an, sollte die Frist bis zum 1. Mai nicht eingehalten werden.
Auch das russische Außenministerium zeigte sich über den angekündigten Aufschub des Truppenabzugs der USA aus Afghanistan besorgt. Die Sprecherin der Behörde Marija Sacharowa kritisierte die Entscheidung laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti als einen klaren Verstoß gegen die Vereinbarung, die am 29. Februar 2020 zwischen Washington und den Taliban unterzeichnet worden war, und befürchtete eine mögliche Eskalation des bewaffneten Konflikts im asiatischen Land, die die "Bemühungen um die Aufnahme der direkten innerafghanischen Verhandlungen untergraben könnte".
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