Wie aus einer Analyse vertraulicher E-Mails der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA hervorgeht, hatten die Zulassungsbehörden noch am 23. November vergangenen Jahres eine Reihe offener Fragen zum Impfstoff der Pharmakonzerne BioNTech und Pfizer. Wie bekannt ist, war die EMA im November vergangenen Jahres Opfer eines Hackerangriffs geworden, in dessen Folge mehr als 40 Megabyte der gehackten Daten anschließend im Darknet veröffentlicht wurden.
Die geleakten Daten wurden auch verschiedenen Journalisten und Akademikern zugespielt. Auch die Schweizer Investigativjournalistin Serena Tinari erhielt die geleakten Daten von einer anonymen Quelle. Über die offenen Fragen der EMA zur Qualität der mRNA-Impfstoffe, die aus E-Mails hervorgeht, berichtete sie im Fachjournal British Medical Journal (BMJ). Aus dem Schriftverkehr soll hervorgehen, dass die EMA am 23. November 2020 noch eine Reihe offener Fragen an Pfizer richtete. Zwei größere Einwände betrafen die Herstellerqualität des mRNA-Impfstoffs. Die Dokumente zeigen, dass die Zulassungsbehörden "starke Bedenken" hatten, denn in den Chargen, die zum Einsatz kommen sollten, zeigte sich eine unerwartete niedrige Menge intakter mRNA-Moleküle. Wissenschaftler der EMA zeigten sich besorgt, dass im fertigen Produkt "zerstückelte und veränderte mRNA-Spezies" vorhanden wären.
In den Vakzinen, die in den klinischen Studien eingesetzt wurden, betrug der Anteil intakter mRNA etwa 78 Prozent, in den für den kommerziellen Gebrauch hergestellten Chargen betrug der Anteil hingegen nur 55 Prozent. Die Gründe dafür seien unklar, und auch die Auswirkungen des Verlusts der RNA-Integrität seien "noch nicht definiert". Die EMA erklärte in einer Mitteilung, dass die Mails, die durch den Hackerangriff öffentlich gemacht wurden, echt seien, während andere Daten nach Angaben der Behörde selektiv ausgewählt und zusammengestellt wurden. Wer hinter dem Hackerangriff steckt, ist laut BMJ noch unklar, derzeit laufen polizeiliche Ermittlungen.
In einer E-Mail vom 25. Dezember heißt es dann weiter, dass der Impfstoff von BioNTech/Pfizer nun wieder 70 bis 75 Prozent intakte mRNA enthalte, was die EMA "vorsichtig optimistisch" stimmte, da "zusätzliche Daten das Problem beheben könnten". Dem Schriftverkehr zufolge hatte Pfizer angeblich die Herstellerqualität verbessert. Am 21. Dezember hatte die Behörde den BioNTech/Pfizer-Impfstoff letztendlich zugelassen. Im offiziellen Bericht der EMA heißt es dazu:
"Die Qualität dieses Arzneimittels, das im Notfallkontext der aktuellen (COVID-19-)Pandemie eingereicht wurde, wird als ausreichend konsistent und akzeptabel angesehen."
Wie Pfizer die Zweifel der Behörde ausräumte, ist jedoch unklar. Dabei sei die komplette, intakte mRNa "essenziell" für die Herstellung eines funktionsfähigen Impfstoffs, erklärte der Biopharmazeut Daan J.A. Crommelin dem BMJ. Dies sei nicht nur für das Vakzin von BioNTech und Pfizer relevant, sondern auch für die mRNA-Impfstoffe der Pharmahersteller Moderna und CureVac. Sowohl die US-Arzneimittelbehörde FDA und die EMA als auch das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada sahen ihre anfänglichen Bedenken aber mittlerweile ausgeräumt. Auf eine Anfrage von BMJ teilten sie mit, dass die spezifischen Kriterien, die im Zusammenhang zur Zulassung stehen, vertraulich seien, und verwiesen auf die Hersteller. Health Canada erklärte beispielsweise lediglich, dass Unternehmen habe "Änderungen in ihren Prozessen vorgenommen, um sicherzustellen, dass die Integrität verbessert und in Einklang mit dem gebracht wurde, was für die Chargen der klinischen Studie gesehen wurde".
Eine Anfrage des BMJ an BioNTech, Pfizer und Moderna, wie hoch der Anteil an mRNA sein müsse, damit ein Impfstoff gegen COVID-19 wirksam sei, blieb bisher unbeantwortet. Pfizer verwies gegenüber dem BMJ jedoch darauf, dass alle Impfstoff-Chargen zweifach geprüft werden, da auch das für die in Deutschland für die Impfstoff-Zulassung zuständige Paul-Ehrlich-Institut entsprechende Analysen vornehme. Der Pharmakonzern weigerte sich jedoch, dem Fachjournal Auskunft darüber zu erteilen, wie hoch der Anteil stabiler mRNA für einen wirksamen Impfstoff sein müsse, wie es zu dem unerwartet niedrigen Anteil stabiler mRNA in der Charge kam und ob so etwas noch einmal passieren könne. Das Pharmaunternehmen Moderna erklärte diesbezüglich lediglich:
"Zu diesem Zeitpunkt wird Moderna keine weiteren Kommentare zu diesen Themen abgeben."
In diesem Zusammenhang ist auch interessant, dass Pfizer und BioNTech seit dem 2. März 2021 den weltweiten Rückruf ihres Corona-Impfstoffs üben. Wie das Bundesministerium für Gesundheit mitteilte, finden die Übungen jedoch nur virtuell statt, sodass die Impfungen in den Impfstoffzentren nicht beeinträchtigt seien. Auf eine Anfrage von RT DE teilte ein Sprecher des Ministeriums mit, dass es sich nur um eine Übung handelte, die benannten Chargen "haben tatsächlich keinen Defekt und mussten real nicht zurückgerufen werden":
"Da Qualitätsprobleme bei der Herstellung von Arzneimitteln nicht ausgeschlossen sind, ist eine Vorbereitung auf solche Situationen geboten, zumal in der Pandemie besondere Versorgungswege genutzt werden."
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