Die Richterin Vanessa Baraitser warnte Julian Assange laut dem Bericht, dass er aus dem Gericht entfernt und der Prozess in seiner Abwesenheit weitergeführt werden könnte. Assange hatte sich offenbar zu Wort gemeldet, während ein Anwalt, der die US-Behörden vertritt, einen Zeugen befragte, der zur Unterstützung des WikiLeaks-Gründers geladen war.
Der Vorfall ereignete sich am zweiten Tag der Auslieferungsanhörung von Assange im Zentralen Strafgerichtshof Londons, auch bekannt als Old Bailey. Bei dem befragten Zeugen soll es sich um Clive Stafford Smith von der Non-Profit-Organisation Reprieve gehandelt haben. Reprieve ist eine gemeinnützige Organisation internationaler Anwälte und Ermittler, deren erklärtes Ziel es ist, "mit rechtlichen Schritten und Aufklärung der Öffentlichkeit für die Opfer extremer Menschenrechtsverletzungen zu kämpfen".
Laut dem Guardian sprach Stafford Smith vor Gericht von "schwerwiegenden Rechtsverletzungen" wie dem Einsatz von US-Drohnen für gezielte Schläge in Pakistan, die mit Hilfe der von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente ans Licht gebracht worden seien. James Lewis, der im Auftrag der US-Behörden am Prozess teilnimmt, soll gegenüber Stafford Smith jedoch erklärt haben, dass Assange nicht wegen der von ihm zitierten Leaks strafrechtlich verfolgt werde, sondern vielmehr beziehe sich die US-Anklage auf die Veröffentlichung der Namen von Informanten im Irak und in Afghanistan, die das Leben dieser Personen in Gefahr gebracht haben soll.
"Sie können diesem Gericht nicht sagen, wie dieser Fall strafrechtlich verfolgt wird, Sie erfinden Dinge", soll Lewis gesagt haben, worauf Stafford Smith geantwortet haben soll:
Ich kann Ihnen sagen, wie amerikanische Fälle strafrechtlich verfolgt werden.
Während die beiden Männer ihren Austausch fortsetzten, soll Richterin Baraitser die Verhandlung unterbrochen und sie um zehn Minuten verschoben haben – Auslöser soll ein Kommentar des WikiLeaks-Gründers gewesen sein, der offenbar in Bezug auf die von Lewis vorgetragene Position "Das ist Unsinn" gerufen haben soll.
Baraitser soll Assange anschließend mit folgenden Worten verwarnt haben: "Ich verstehe, dass Sie Dinge hören werden, mit denen Sie nicht einverstanden sind, (...) und Sie würden gerne selbst widersprechen und über diese Dinge sprechen, aber dies ist nicht Ihre Gelegenheit, dies zu tun." Und weiter:
Wenn Sie das Verfahren unterbrechen, steht es mir frei, in Ihrer Abwesenheit fortzufahren. Dies ist offensichtlich etwas, das ich nicht tun möchte.
Stafford Smith hatte zuvor ausgesagt, von WikiLeaks veröffentlichte Dokumente hätten mit dazu beigetragen, dass Gerichte der Ansicht seien, dass gegen leitende US-Beamte wegen der Drohnenangriffe ermittelt werden solle. Als er über ein – wie er es nannte – "gezieltes Attentatsprogramm" des US-Militärs in Afghanistan und Pakistan sprach, behauptete er ebenfalls, dass zu den Zielen auch ein US-Bürger gehört habe, der als Journalist arbeitete.
Stafford Smith, ein US-amerikanisch-britischer Doppelstaatsbürger, der Reprieve 1999 in London gegründet hat, sagte, als amerikanischer Staatsbürger glaube er, dass Beweise für US-Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen "von entscheidender fortwährender Bedeutung für die Seele unserer Nation" seien. Er ergänzte:
"Ich sage dies mehr aus Trauer als aus Wut. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Regierung tun würde, was sie getan hat. Wir sprechen hier von Straftaten wie Folter, Entführung, Überstellung, Festhalten von Menschen ohne Gerichtsverfahren."
Assange befindet sich seit vergangenem September in Untersuchungshaft im Belmarsh-Gefängnis im Südosten Londons, nachdem er eine 50-wöchige Haftstrafe wegen Verstoßes gegen seine Kautionsbedingungen verbüßt hat, während er fast sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London war.
Am Montag versäumten es die Anwälte von Assange, das Auslieferungsverfahren gegen ihn zu vertagen, nachdem sie Einspruch gegen neu eingeführte Beweise der US-Staatsanwaltschaft erhoben hatten, die ihm vorwarf, Hacker für den Diebstahl von Militärgeheimnissen zu rekrutieren.
Am zweiten Prozesstag wurde auch Mark Feldstein, ein US-amerikanischer Journalismusprofessor und ehemaliger Enthüllungsjournalist, der von Assanges Anwaltsteam als Sachverständiger vorgeladen wurde, angehört. Die Regierung von Donald Trump habe Assange trotz einer gegenteiligen, früheren Entscheidung der US-Behörden weiter strafrechtlich verfolgt, erklärte Feldstein per Videoverbindung.
Die Situation habe sich geändert, nachdem Trump an die Macht gekommen sei und der damalige FBI-Direktor James Comey das Thema "des Abdichtens von Lecks" angesprochen und angeblich vorgeschlagen habe, ein Exempel zu statuieren. Der Prozess wird an diesem Mittwoch fortgesetzt.