Aus Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen: Massenkündigung bei Berliner Vivantes-Klinikum

In Berlin kündigen an einem Fachbereich eines Vivantes-Klinikums fast alle Ärzte und Pflegekräfte und wechseln geschlossen zu einem anderen Krankenhaus. Der Grund: die immer schlechteren Arbeitsbedingungen und der wachsende wirtschaftliche Druck.

Ein Großteil der Belegschaft des Fachbereichs für Infektiologie am Berliner Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg hat gekündigt, um geschlossen an das St. Joseph-Krankenhaus in Tempelhof zu wechseln. Das berichtete der rbb. Eine Sprecherin des St. Joseph-Krankenhauses bestätigte dem Sender gegenüber den Personalwechsel. Das Auguste-Viktoria-Klinikum gehört zum kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes.

Die insgesamt 38 Mitarbeiter, davon 11 Ärzte und 27 Pflegekräfte, die die Vivantes-Klinik verlassen, werden am St. Joseph-Krankenhaus zum 1. April eine neue Abteilung für Infektiologie  aufbauen. In der neuen Abteilung werden vor allem HIV-Patienten behandelt, daneben aber auch andere virale und bakterielle Infektionen, etwa bei Patienten mit multiresistenten Keimen. 

Das katholische St. Joseph-Krankenhaus nannte den Aufbau der neuen Abteilung eine gute Ergänzung für die bisherigen Schwerpunkte wie Nierenheilkunde und Onkologie. Die dortigen Patienten seien besonders infektionsanfällig, auch bildeten Ansteckungen mit multiresistenten Keimen eine große Herausforderung. Die Sprecherin nannte es eine "große Bereicherung", die Abteilung mit einem erfahrenen und spezialisierten Team aufbauen zu können.

Eine Mitarbeiterin erklärte dem rbb, die Mitarbeiter des Fachbereichs verließen Vivantes unter anderem aus Protest gegen immer schlechtere Arbeitsbedingungen. Im St. Joseph-Krankenhaus könnten sie die Patienten mit einem besseren Betreuungsschlüssel versorgen.

Einem Eintrag im Blog mypflegephilosophie lassen sich Einzelheiten über die Umstände der Massenkündigung entnehmen. Eine Pflegerin, die als Leasingkraft in der betreffenden Station im Berliner Auguste-Viktoria-Klinikum arbeitete, beschrieb in dem Artikel, wie sie mit einem festangestellten Pfleger ins Gespräch kam und von ihm von der Kündigung erfuhr:

Wir haben alle gekündigt. Die gesamte Stationsmannschaft. Inklusive der Ärzte.

Der Festangestellte habe ihr die Geschichte der Abteilung so dargestellt:

Dieses Team besteht in seiner Kern-Zusammensetzung seit rund 30 Jahren. Mit dem Aufgehen des Auguste Viktoria in den landeseigenen Vivantes-Konzern und der damit beginnenden Ökonomisierung des Krankenhausbetriebs wurde die Situation allerdings unschön: Mehr Patienten, weniger Pflegende, allgemein schlechtere Arbeitsbedingungen, wirtschaftlicher Druck. Missachtung der pflegerischen Leistung durch die euphemistisch "Arbeitsverdichtung" genannte überbordende entmenschlichende Abfertigung von Kranken.

Die Mitarbeiter hätten auf die herkömmliche Weise reagiert, mit Beschwerden, Gefährdungsanzeigen, Gesprächen, ohne Erfolg. Nachdem das andere Krankenhaus sein Interesse an der Übernahme der Station signalisierte, hätten sich die Kollegen nach längeren Gesprächen zur kollektiven Kündigung entschlossen. Die Pflegerin sieht in diesem Vorgang ein Muster dafür, wie sich Pflegekräfte gegen die Zumutungen des privatisierten Gesundheitswesens zur Wehr setzen können.

Vivantes, das in Berlin unter anderem zehn Krankenhäuser mit 6.000 Betten und 15 Senioreneinrichtungen betreibt, wollte sich gegenüber dem rbb nicht zu der Massenkündigung äußern. Das Unternehmen sagte dem Sender, die Klinik für Infektiologie "stelle sich neu auf". 

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