Immer mehr Beschäftigte in Deutschland brauchen mehrere Nebenjobs zum Überleben

Jahr für Jahr wächst in Deutschland die Zahl der Beschäftigten mit mehreren Arbeitsstellen: Mehr als 3,5 Millionen waren es Mitte vergangenen Jahres. Für die meisten von ihnen reicht der Verdienst einer Arbeitsstelle nicht zum Leben. Der Trend geht zurück auf die Hartz-Reformen.

Die Anzahl der Berufstätigen mit mehreren Beschäftigungsverhältnissen steigt in Deutschland rapide an. Aus einer Antwort der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geht hervor, dass Ende Juni 2019 über 3,538 Millionen Mehrfachbeschäftigte registriert waren. Das geht aus einer Meldung der Neuen Osnabrücker Zeitung hervor. Gegenüber dem Juni 2018 stieg die Zahl der Mehrfachbeschäftigten um 123.600, das entspricht einem Anstieg um 3,62 Prozentpunkte.

Nach den Angaben der Behörde hatten fast drei Millionen Menschen neben ihrem regulären Beschäftigungsverhältnis zusätzlich noch eine weitere, geringfügige Beschäftigung. Mehr als 345.400 Menschen arbeiteten in mindestens zwei sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. 260.700 Beschäftigte kombinierten sogar zwei oder mehr sogenannte "Minijobs".  

Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 sind für 53 Prozent der Befragten finanzielle Schwierigkeiten oder Nöte der entscheidende Beweggrund für die Zweittätigkeit. Weitere 24 Prozent könnten keine Vollzeitstelle finden und nähmen die Nebentätigkeit daher auf, um durch größere zeitliche Auslastung finanziell aufzustocken.

Als Reaktion auf die neuen Zahlen forderte die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann eine Erhöhung des Mindestlohns "in einem ersten Schritt auf 12 Euro die Stunde". In der Neuen Osnabrücker Zeitung mahnte sie außerdem die Abschaffung der systematischen Niedriglohnbeschäftigung in Form von Leiharbeit und von sachgrundlosen Befristungen an.

Dass immer mehr Beschäftigte mehreren Arbeitsverhältnissen nachgehen, ist ein durchaus langfristiger Trend. Ähnliche Meldungen wie die aktuelle gibt es regelmäßig bereits seit der Umsetzung der Hartz-Reformen, also ab 2003. Offenbar konnten oder wollten die dafür verantwortlichen Politiker seitdem nichts unternehmen, um den Trend zu stoppen oder umzukehren. Kritische Beobachter merkten auch an, dass immer häufiger von "Jobs" und "Beschäftigung" die Rede sei, statt wie in früheren Zeiten von "Beruf" und "Arbeit". Mit dieser Wortwahl soll offenbar die Flüchtigkeit und Beliebigkeit heutiger Arbeitsverhältnisse als etwas Normales dargestellt werden, worunter aber sicherlich auch die Identifikation der Beschäftigten mit ihrer Tätigkeit wie mit dem jeweiligen Unternehmen leiden dürfte.

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