Armut ist auch in Berlin nicht sexy - Drei Fragen an die Landesarmutskonferenz

Berlin ist einerseits hippe Hauptstadt, an vielen Stellen aber auch deutsches Ghetto. Anlässlich des Internationalen Tags für die Beseitigung der Armut am 17. Oktober hat RT Deutsch dem Sprecher der Landesarmutskonferenz Berlin, Hermann Pfahlen, drei Fragen gestellt.

Der 17. Oktober wurde von der UNO zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut erklärt. Viele denken an die Dritte Welt – denn in Deutschland, auch in Berlin, muss doch niemand wirklich hungern? 

Ja, in Berlin hungert fast niemand, aber ausgegrenzt sind sehr viele. Im Jahr 2018 lebten 167.478 Kinder unter 18 Jahren von Transferleistungen (Hartz IV). Viele von ihnen müssen auf vieles verzichten, was sich ihre Schulkameraden selbstverständlich leisten können. Teilnahme am Kindergeburtstag, regelmäßige Besuche kultureller Veranstaltungen, Hobbys, Ausflüge und sogar Bildungsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Über 50.000 Menschen in Berlin haben keine eigene Wohnung, sie leben in Notunterkünften und Behelfsunterkünften.

Mehrere Tausend Menschen haben noch nicht einmal eine Notunterkunft, sie leben auf der Straße. Immer mehr Menschen holen sich Lebensmittel bei der Tafel, damit sie nicht hungern müssen.

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Viele arme Rentner versuchen, über kleine Nebenverdienste (Zeitung austragen, Flaschen sammeln) ihr Budget aufzubessern. Immer häufiger reicht das Geld nicht mehr für die Mietzahlung, da spart man eben am Essensgeld und geht zur Tafel. 

Was kommt Ihnen zum Spruch "arm, aber sexy" in den Sinn? Schließlich ist der Anteil der Einkommensmillionäre, also jener, die mehr als 500.000 Euro Jahr verdienen, in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren rasant angestiegen.

Am Reichtum in Deutschland ist nur ein Drittel der Bevölkerung beteiligt, ein weiteres Drittel muss einen weiteren Abstieg befürchten, und das untere Drittel arbeitet im Niedriglohnsektor, hat mehrere Jobs oder lebt freiberuflich am Existenzminimum. Sexy ist das nicht, sozial auch nicht. Gerechtere Verteilung muss sein!

Ein Armutsbeauftragter der UNO, Philip Alston, sieht Armut in reichen Ländern als eine politische Entscheidung an, da sie vermeidbar wäre. Stimmen Sie dem zu, und wenn ja, würde die Opposition eine andere Entscheidung treffen und diese effektiv umsetzen?

Alle politischen Parteien brauchen die breite gesellschaftliche Forderung und mehr Druck, damit sie mehr Verteilungsgerechtigkeit umsetzen. Alle Parteien muss man an ihren Taten und nicht allein an ihren Worten messen. Hinsehen und hinhören müssen wir alle, ob arm oder reich.

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