Wer ist Bakery Jatta? Mit dieser Frage wird sich nun der 2018 in die zweite Bundesliga abgestiegene Hamburger SV befassen müssen. Dabei begann alles wie in einer dieser "vom Tellerwäscher zum Millionär"-Geschichten. Am 4. Januar 2016 trainierte ein bis dahin völlig unbekannter 17-jähriger Junge gemeinsam mit den Bundesligaprofis des HSV. Und die Clubbosse merkten schnell: Dafür, dass der Junge nie in einem Verein gespielt haben soll, hat er eine ganze Menge drauf. Der damalige Trainer des HSV, Bruno Labbadia, zeigte sich angetan:
Der Junge hat seine Sache sehr ordentlich gemacht und einen guten Eindruck hinterlassen.
Jatta soll 2015 aus seiner Heimat Gambia nach Deutschland geflohen sein. Dort wurde er in der Akademie Lothar Kannenberg, einer Jugendhilfe- und Bildungseinrichtung in Bothel, Niedersachsen, aufgenommen. Die Einrichtung vermittelte dem jungen Fußballer noch im Jahr 2015 ein Probetraining bei der A-Jugend von Werder Bremen. Er nahm auch an einem Testspiel des Vereins teil – und hinterließ offenbar auch dort einen sehr guten Eindruck, denn Werder bot ihm einen Vorvertrag für eine Profikarriere an.
Jatta lehnte das Angebot jedoch ab, da nur ein fester Vertrag seinen Aufenthalt in Deutschland, nach Erreichen der Volljährigkeit, gesichert hätte. Bis dato war er in Deutschland nur geduldet. Dann kam die Sache mit dem Probetraining beim HSV. Doch einer sofortigen Verpflichtung beim HSV standen noch Hürden im Weg. Laut den FIFA-Statuten ist die Erstregistrierung eines minderjährigen Spielers in einem Land, dessen Staatsbürgerschaft er nicht besitzt, unzulässig.
Jatta trainierte in der Folge mit einem Individualtrainer weiter und nahm abends noch zusätzlich am Training des Oberligisten Bremer SV teil. Nebenher ging er zur Schule und lernte Deutsch. Eine Woche nach seinem 18. Geburtstag war er am Ziel seiner Träume: Am 13. Juni 2016 bot ihm der damalige Bundesligist HSV einen Dreijahresvertrag an. Trainer Labbadia erklärte anschließend: "Ich habe großen Respekt vor seiner Story. Er hat sich getraut, einen sehr beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen." Und weiter:
Bakery hat eine große Spiel-Intelligenz, gute Anlagen. Es geht auch bei ihm streng nach Leistung. Einen Flüchtlingsbonus wird es nicht geben.
Wer die Trainerkarriere von Labbadia verfolgt hat, weiß, dass er das ernst gemeint hat. Der 53-Jährige gilt nicht gerade als ein Trainer, der seine Spieler verhätschelt. Doch sein Bundesliga-Debüt gab Jatta erst unter dem Nachfolger von Labbadia, Markus Gisdol. Am 16. April 2017 wurde er ausgerechnet beim Auswärtsspiel gegen Werder Bremen in der 83. Minute eingewechselt. Das Spiel ging für den HSV 1:2 verloren. Insgesamt absolvierte Jatta in seinem ersten Jahr beim ehemaligen Bundesliga-Dino sechs Bundesligaspiele.
Und er entwickelte sich schnell zum Publikumsliebling. Seine Schnelligkeit und seine Dribblings auf der Außenbahn werden geschätzt oder gefürchtet, je nach dem, auf welcher Seite man steht. Jatta war auch einer der wenigen HSV-Spieler, die sich mit allem Einsatz gegen den Bundesliga-Abstieg im Jahr 2018 gewehrt haben. Zwar erfolglos, doch so etwas vergessen die Fans nicht.
Doch eine Recherche der BILD könnte jetzt dafür sorgen, dass die bewegende Geschichte um Bakery Jatta umgeschrieben werden muss. Laut dem Bericht soll Bakery Jatta weder so heißen, noch damals, als er nach Deutschland kam, minderjährig gewesen sein. Und er war anscheinend auch nicht der blutige Anfänger, als den er sich 2016 ausgegeben hat.
Laut den Recherchen der Zeitung handelt sich bei Bakery Jatta in Wirklichkeit um Bakary Daffeh, einen Fußballer aus Gambia, der in seiner Heimat schon für mehrere Vereine gespielt haben soll, so unter anderem für den Club Brikama United. Er soll auch an andere Clubs in Nigeria und im Senegal ausgeliehen worden sein. Zudem kam er offenbar 2014 in der U20-Nationalmannschaft Gambias zum Einsatz.
Auch sein angegebenes Alter soll nicht stimmen. Wenn es sich bei Bakery Jatta in Wahrheit um Bakary Daffeh handelt, dann wurde er nicht am 6. Juni 1998, sondern am 6. November 1995 geboren. Das bedeutet, dass er schon volljährig war, als er in Deutschland einreiste. Um ihre Recherchen zu stützen schickte die BILD Fotos von Jatta an zwei Trainer in Afrika. Abou Diarra, ein Trainer aus dem Senegal, erkannte Jatta wieder. Auch Mustapha Manneh, der Jatta bei der U20 Gambias trainiert haben soll, erkannte seinen ehemaligen Schützling anscheinend wieder. Die Zeitung zitiert ihn mit den Worten:
Ja, ich trainierte ihn in der Nachwuchsmannschaft. Ich bin mir sicher, dass er für mich 2014 ein entscheidendes Tor geschossen hat. Jetzt spielt er in Deutschland.
Auffällig ist auch, dass der Name "Bakary Daffeh" in den Annalen des Fußballs nach 2015 nicht mehr auftaucht. In einem Interview, das Jatta im Juni 2016 der Stadionzeitung HSV-Live gegeben hat, sagte er:
Ich habe in Afrika in keinem Verein gespielt, das gab es dort nicht, höchstens mal am Wochenende konnte man ein betreutes Training mitmachen. Ansonsten waren wir auf uns gestellt, wir haben auf der Straße Fußball gespielt und uns selbst die Dinge beigebracht.
Auf eine Anfrage der BILD reagierte der HSV ausweichend. In einem Statement schreibt der Club:
Wir haben Bakery Jattas gültigen Reisepass inklusive Aufenthaltsgenehmigung vorliegen. Bakery hat sich seit seiner Ankunft bei uns als tadelloser Sportsmann und als verlässlicher Mitspieler gezeigt. Er hat sich schnell in unsere Mannschaft und in unseren Club integriert. Wir schätzen ihn als Spieler und Menschen.
Dabei gab es schon 2016 Zweifel an seinem Alter. Auch beim HSV. Der Verein schickte Jatta noch im selben Jahr zu einer Untersuchung ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Nach der Untersuchung gab der damalige Sportdirektor des HSV, Peter Knäbel, bekannt:
Es gibt keinerlei Anzeichen, dass wir am Alter von Jatta, das er angegeben hat, Zweifel haben müssten.
Sollten die Vorwürfe der BILD zutreffen, dann wäre es ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesliga. Die Frage nach der Identität von HSV-Spieler Bakéry Jatta wird nun vom Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der zuständigen Behörde geprüft. "Das Thema ist hier bekannt, der Kontrollausschuss wird den Sachverhalt untersuchen", bestätigte der DFB-Ausschussvorsitzende Anton Nachreiner am Mittwoch.
Das für ihn zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte teilte mit, es werde "den Fall intensiv prüfen und den Hinweisen nachgehen". Nach Paragraph 48, Absatz 1, des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HmbVwVfG) kann die Aufenthaltsgenehmigung wieder entzogen werden, wenn sie erschlichen wurde. Selbst eine Abschiebung ist nicht ausgeschlossen. Zudem könnte die Hamburger Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Passfälschung einleiten. Bei einer Verurteilung drohen Jatta zwischen drei bis fünf Jahren Haft. Auf eine Anfrage der Deutschen Presse Agentur (dpa) wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf hin, dass weder ein Asylantrag auf den Namen Bakéry Jatta noch auf den Namen Bakary Daffeh gestellt worden sei.
Die Deutsche Fußball Liga hat den HSV und Jatta um eine Stellungnahme gebeten. Am Mittwochabend teilte der DFB mit, dass der 1. FC Nürnberg Einspruch gegen die Wertung der 0:4-Niederlage im Punktspiel am vergangenen Montag gegen den Hamburger SV eingelegt habe. Die Nürnberger begründeten ihren Einspruch laut DFB mit den Medienberichten um Jattas Identität. Demnach sei die für ihn erteilte Spielberechtigung unwirksam. Jatta hatte beim 4:0 der Hanseaten in der Startelf gestanden und 65 Minuten lang gespielt.
Das zuständige DFB-Sportgericht habe den Hamburger SV bereits angeschrieben und um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten, hieß es in der DFB-Mitteilung. Das Gremium werde zu gegebener Zeit über den Einspruch zu befinden haben. Die DFL hatte zuvor bestätigt, dass sie vom HSV vor dem Punktspiel in Nürnberg über Jatta in Kenntnis gesetzt worden sei. "Der Hamburger SV hat die DFL vor dem Spiel gegen den FC Nürnberg darüber informiert, dass es möglicherweise eine mediale Berichterstattung über die Identität des Spielers Bakery Jatta geben wird", teilte die DFL auf Anfrage mit. "Der Spieler stand zum Zeitpunkt der Begegnung auf der Spielberechtigungsliste, insofern durfte er eingesetzt werden."
Solange Jatta weiter auf der von der DFL geführten Spielberechtigungsliste steht, darf er auch weiter spielen. Voraussetzung dazu ist ein gültiger Aufenthaltstitel. Sollte ein Aufenthaltstitel erlöschen oder durch Behörden entzogen werden, würde die Spielberechtigung entfallen. Der HSV selbst müsste nur eine Strafe fürchten, wenn ein strafbares Handeln des Vereins vorliegen würde. Der Verein verwies auf gültige Dokumente. "Wir haben Bakéry Jattas gültigen Reisepass inklusive Aufenthaltsgenehmigung vorliegen", betonte HSV-Vorstandschef Bernd Hoffmann in einer Vereinsmitteilung.
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