Lügen für das "Gute"? Familientragödie über angeblichen Bahnhofsmord in Frankfurt war wohl erfunden

Nach dem Mord an einem Achtjährigen in Frankfurt am Main schrieb eine Frau auf Facebook, es gäbe keinen Grund, sich das Deutschland von früher zurückzuwünschen – ihre Tante sei vor 50 Jahren genauso gestorben. Nun zeigt sich: Die Geschichte war wohl erfunden.

Kurze Zeit nach dem brutalen Tötungsverbrechen von Frankfurt am Main, bei dem ein Eritreer am Montag vergangener Woche ein achtjähriges Kind vor einen einfahrenden ICE stieß, erschien auf Facebook ein Post, in dem eine Frau eine ganz ähnliche, angeblich selbst vor langer Zeit erlebte Familientragödie schilderte.

Sie erzählt darin, dass ihre Mutter vor 50 Jahren als Kind ebenfalls mitansehen musste, wie ein Kind durch ein solches Verbrechen getötet wurde. Das Opfer sei deren Schwester, also die Tante der Erzählerin, und der Täter sei ein "deutscher Arbeiter" bei Höchst gewesen.

Am Ende dieses Posts wandte sich die Verfasserin an Menschen, die eine Verbindung zwischen dem Tötungsverbrechen und der Migrationspolitik ziehen wollten. Wörtlich schrieb sie:

Ihr wollt Deutschland zurück, wie es früher einmal war? Dann spart euch eure nutzlosen, geheuchelten Facebookposts – sie helfen niemandem. Seid einfach mal traurig und zeigt Mitgefühl, statt den Tod eines Kindes zu nutzen, um Hass und Hetze zu verbreiten.

Zeigt doch einfach mal Anstand und verhaltet euch so, wie ihr es angeblich wollt – so wie es früher einmal war in Deutschland.

Der Post wurde vielfach geteilt und meist zustimmend kommentiert. Nun berichtet das Nachrichtenportal t-online.de, das zum Werbekonzern Ströer gehört, dass sich das von der Frau Erzählte wohl nie zugetragen hat. Die Polizei in Frankfurt am Main habe die entsprechenden Unterlagen zwischen den Jahren von 1967 bis 1971 durchforstet – und zwar ergebnislos. Ein Sprecher erklärte:

Wenn es da in unserem Bereich etwas gegeben hätte, dann hätten wir es finden müssen.

Auch das Suchen im Stadtarchiv von Frankfurt sei ergebnislos geblieben. Die Frau, deren Namen das Portal als Sandra H. angibt, habe ihren diesbezüglichen Post nach dem Eintreffen von Nachfragen am Mittwoch gelöscht und auch ihr Profilfoto ausgetauscht. Auf Anfragen – so t-online.de – habe sie schroff und ablehnend reagiert: Sie sei eine "Privatperson, die seit Tagen von Medienvertretern belästigt wird und keinerlei Interviews oder Statements gibt".

Das Nachrichtenportal geht daher aus guten Gründen davon aus, dass diese Geschichte eine Erfindung ist, also Fake News, um den zeitgenössischen Begriff zu gebrauchen. Zugleich wird jedoch versucht, diese Erkenntnis gleich noch moralisch zu bewerten und so einzuordnen:

Wahrscheinlich wollte die Frau nur Gutes. Wahrscheinlich wollte sie der Hetze etwas entgegensetzen, die nach dem entsetzlichen Verbrechen an einem Achtjährigen im Hauptbahnhof Frankfurt (Main) aufgekommen war.

"Sandra H." wollte dem Mainstream offenbar im Stile eines Claas Relotius zur Seite springen, hat aber dabei der Unvoreingenommenheit gegenüber Migranten wohl eher einen Bärendienst erwiesen.

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