Schwere Schlappe für die große Koalition: Union und SPD haben bei der EU-Wahl in Deutschland historisch schlecht abgeschnitten. Trotzdem bleiben CDU und CSU zusammen stärkste Kraft. Die Sozialdemokraten dagegen verlieren bei der Abstimmung am Sonntag mehr als zehn Prozentpunkte und rutschen auf den dritten Platz. Die Ergebnisse könnten das schwarz-rote Bündnis in Berlin stark belasten. Großer Gewinner sind die Grünen, sie klettern erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf Rang zwei. Die EU-skeptische AfD verbessert ihr Europawahl-Ergebnis, bleibt aber unter dem der Bundestagswahl im Jahr 2017.
Nahles bezeichnete das Abschneiden der SPD als "schmerzlich"
Union und SPD schnitten nach dem vorläufigen Ergebnis des Bundeswahlleiters vom Montagmorgen so schlecht ab wie nie zuvor bei einer bundesweiten Wahl. Die herben Verluste für die Union gingen dabei auf das Konto der CDU, nicht auf das der bayerischen Schwester CSU. Für die Sozialdemokraten kommt hinzu, dass sie bei der zeitgleichen Landtagswahl in Bremen ebenfalls ein Fiasko erlitten. Die CDU lag dort einer Hochrechnung des Wahlleiters zufolge vor der SPD. Der Stadtstaat war über 70 Jahre eine rote Hochburg.
Die Wahlen waren der erste Stimmungstest für die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer seit ihrem Amtsantritt im Dezember. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich weitgehend aus dem Wahlkampf herausgehalten. Kramp-Karrenbauer räumte Defizite in der Klimaschutzpolitik ein, die ein wichtiges Wahlkampfthema war. Weder vertrete die Regierung sehr glaubwürdig, wie sie die Klimaschutzziele erreichen wolle, noch habe die Partei programmatisch schon die Antworten hierfür, sagte sie am Sonntagabend in der ARD. CSU-Chef Markus Söder fordert ein strategisches Umdenken der Union:
Die große Herausforderung der Zukunft ist die intensive Auseinandersetzung mit den Grünen", sagte Söder im Bayerischen Fernsehen.
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles bezeichnete das Abschneiden ihrer Partei als "schmerzlich". Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem Tagesspiegel, es gehe jetzt "um die Existenz der SPD als politische Kraft in Deutschland".
Generalsekretär Lars Klingbeil und Vizekanzler Olaf Scholz wandten sich gegen Personaldebatten. Fraktionsvize Achim Post und Ex-Kanzlerkandidat Martin Schulz war zuletzt nachgesagt worden, sich für die Ablösung von Nahles an der Fraktionsspitze warmzulaufen. Den innerparteilichen Gegnern der großen Koalition dürften die Niederlagen jedenfalls neue Argumente liefern. CSU-Chef Markus Söder appellierte in Richtung SPD, "nicht nur die eigene Parteibefindlichkeit" zu beachten. Deutschland müsse jetzt handlungsfähig bleiben.
Grüne kommen bei 18- bis 24-Jährigen auf 34 Prozent
Die Union aus CDU und CSU erreicht nach Auszählung aller Wahlkreise 28,9 Prozent - bei der EU-Wahl im Jahr 2014 waren es 35,4 Prozent und bei der jüngsten Bundestagswahl 32,9 Prozent. Die SPD stürzt auf 15,8 Prozent ab. Bei der vorherigen EU-Wahl waren es noch 27,3 Prozent, bei der Bundestagswahl 20,5 Prozent. Die Grünen legen auf 20,5 Prozent zu - fast zehn Punkte mehr als bei der EU-Wahl vor fünf Jahren (10,7 Prozent). Die AfD kommt auf 11,0 Prozent (2014: 7,1 Prozent). Die Linke liegt bei 5,5 Prozent (2014: 7,4 Prozent), die FDP bei 5,4 Prozent (2014: 3,4 Prozent). Von den anderen Parteien erzielten nur die Freien Wähler und die Satirepartei Die Partei mehr als 2 Prozent.
Die Grünen bezeichneten ihr historisches Ergebnis als "Signal für mehr Klimaschutz".
Das ist ein Sunday for Future", sagte Spitzenkandidat Sven Giegold in Anspielung auf die Klimaschutzbewegung Fridays For Future.
Laut einer Analyse von infratest dimap für die ARD sind die Grünen bei den unter 60-jährigen Wählern sogar die stärkste Kraft, bei den 18- bis 24-Jährigen stehen sie demnach bei 34 Prozent.
AfD-Chef Alexander Gauland sprach von einem "schwierigen Wahlkampf". Angesichts dessen sei er mit dem Ergebnis zufrieden, sagte er im ZDF. In Ostdeutschland zeichnete sich jedoch ein Triumph für die AfD ab. In Sachsen und Brandenburg, wo im Herbst Landtagswahlen anstehen, lag sie nach Zwischenergebnissen vor der CDU.
Neben dem Klimaschutz ging es im Wahlkampf insbesondere um Mindestlöhne, die Besteuerung von Internetkonzernen, die Migrationspolitik und die Debatte um das Urheberrecht im Internet. Bestimmt war die Kampagne aber auch von Sorgen vor einem Erstarken von Rechtspopulisten und Nationalisten.
Christ- und Sozialdemokraten nun ohne Mehrheit im Europaparlament
Aus der ersten europaweiten Prognose des EU-Parlaments ging hervor, dass Christ- und Sozialdemokraten nach erheblichen Verlusten erstmals nicht mehr in der Lage sein werden, alleine eine Mehrheit im Europaparlament zu stellen. Liberale und grüne Parteien legten zu. Auch rechtspopulistische Parteien verbuchten Zugewinne. Allerdings blieben einige von ihnen hinter ihren Erwartungen zurück.
Die EU-kritische AfD will im Europaparlament eine neue Fraktion mit anderen Rechtspopulisten wie der italienischen Lega und der französischen Partei Rassemblement National bilden. Kurz vor der Wahl war die mit der AfD verbündete FPÖ in Österreich durch die Ibiza-Affäre massiv unter Druck geraten.
Die Wahlbeteiligung lag in Deutschland bei 61,4 Prozent - ein deutlicher Sprung nach oben: vor fünf Jahren waren es 48,1 Prozent. Diesmal waren in Deutschland 64,8 Millionen Menschen wahlberechtigt.
Mehr zum Thema - Am Rande der EU-Wahl: Bremen wählt Landtag, Belgien wählt Parlament, Litauen wählt Staatschef
(dpa/rt deutsch)