von Florian Warweg
Die Bundesregierung und insbesondere das Auswärtige Amt unter Heiko Maas scheinen sich im Kontext der Venezuela-Krise immer mehr ins verfassungs- und völkerrechtliche Abseits zu manövrieren. Jüngstes Beispiel war die Bundespressekonferenz am 27. März.
Von RT Deutsch gefragt, wie die Bundesregierung damit umgeht, dass die von der venezolanischen Verfassung in Artikel 233 klar festgelegte Amtszeit des Interimspräsidenten von maximal 30 Tagen bereits seit Wochen überschritten ist, antwortete der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Christofer Burger:
Aus unserer Sicht ist Herr Guaidó nach wie vor derjenige, der das demokratisch legitimierte Mandat dafür hat, in Venezuela den Weg für Neuwahlen vorzubereiten.
Diese Bewertung ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich, was das Verhältnis des Auswärtigen Amtes und der Bundesregierung zur Verfassungstreue betrifft: Zum einen hat die in der venezolanischen Verfassung festgelegte maximale 30-tägige Amtszeit einer Interimspräsidentschaft und die folglich derzeit offene Missachtung des entsprechenden Verfassungsartikels 233 durch den selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó offenkundig für das Auswärtige Amt hierzulande keinerlei Relevanz. Man stelle sich spiegelbildlich vor, in Deutschland würde Kanzlerin Angela Merkel nach Ablauf ihrer festgelegten Amtszeit einfach beschließen und praktizieren, weiter im Amt zu verbleiben.
Doch die Missachtung der Verfassung der Bolivarischen Republik Venezuela geht noch viel weiter. Am 10. Januar 2019 wurde Nicolás Maduro als Präsident des südamerikanischen Landes vereidigt. 13 Tage später, am 23. Januar 2019, erklärte sich der Parlamentspräsident Juan Guaidó selbst zum Interimspräsidenten und verwies dabei auf Artikel 233 der venezolanischen Verfassung. Kurze Zeit später erkannte die Bundesrepublik Deutschland Guaidó an. Außenminister Heiko Maas erklärte dazu:
Für Deutschland ist Guaidó im Einklang mit der venezolanischen Verfassung Übergangspräsident. Wir sind nicht neutral in dieser Frage, wir stehen auf seiner Seite.
Doch hätte Heiko Maas oder einer seiner Mitarbeiter nur einen Blick auf die venezolanische Verfassung geworfen, wäre ihnen (hoffentlich) aufgefallen, dass Artikel 233 in dem vorliegenden Fall dem Parlamentspräsidenten überhaupt nicht die Möglichkeit einräumt, als Interimspräsident zu agieren. Dort heißt es eindeutig:
Ergibt sich ein zwingender Hinderungsgrund bezüglich der Person des Präsidenten oder der Präsidentin der Republik während der ersten vier Jahre der verfassungsgemäßen Amtszeit, folgen neue allgemeine, direkte und geheime Wahlen innerhalb der nächsten dreißig Tage. Bis der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist und das Amt antritt, nimmt der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin die Präsidentschaft der Republik wahr.
Die aktuelle Vizepräsidentin Venezuelas ist Teil der Maduro-Regierung und heißt Delcy Rodríguez:
Die venezolanische Verfassung sieht die temporäre Übernahme der Präsidentschaft durch den Präsidenten der Nationalversammlung nur vor, wenn sich "vor der Amtseinführung ein zwingender Hinderungsgrund" ergibt:
Ergibt sich vor der Amtseinführung ein zwingender Hinderungsgrund bezüglich der Person des gewählten Präsidenten oder der gewählten Präsidentin, folgen neue allgemeine, direkte und geheime Wahlen innerhalb der nächsten dreißig Tage. Bis der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist und das Amt antritt, nimmt der Präsident oder die Präsidentin der Nationalversammlung die Präsidentschaft der Republik wahr.
Doch wie allgemein (und auch dem Auswärtigen Amt) bekannt ist, erfolgte zuerst die Amtseinführung von Präsident Maduro und dann, zehn Tage später, die verfassungswidrige Selbstausrufung durch Guaidó. Diese Selbstproklamation verstößt unter allen Gesichtspunkten gegen die Verfassung Venezuelas. Die Verfassung macht ganz konkrete Vorgaben, was als "zwingender Hinderungsgrund bezüglich der Person des gewählten Präsidenten" gilt:
Als zwingende Hinderungsgründe bezüglich der Amtsausübung des Präsidenten oder der Präsidentin der Republik gelten: sein oder ihr Tod, sein oder ihr Rücktritt sowie seine oder ihre durch Urteil des Obersten Gerichtshofes verfügte Absetzung; seine oder ihre durch Attest einer vom Obersten Gerichtshof eingesetzten und von der Nationalversammlung bestätigten medizinischen Kommission bescheinigte dauernde körperliche oder geistige Handlungsunfähigkeit, die Nichtwahrnehmung des Amtes, die von der Nationalversammlung als solche festgestellt wird, sowie die Amtsenthebung durch Volksabstimmung.
Nichts davon trifft auf den aktuellen Fall zu. Das sollten eigentlich auch die Juristen im Auswärtigen Amt wissen. Falls nicht, können sie sich ja bei den Kollegen von den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages beraten lassen. Denn die kamen bereits zu einem recht eindeutigen Urteil.
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