Berlin steht Kopf, denn heute reist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan an. Es herrscht die höchste Gefährdungsstufe, wovon unter anderem die Sperrung des Luftraums zeugt. Seit Donnerstag früh gilt, dass außer Linienflugzeugen nach Tegel und Schönefeld nur Sicherheitsbehörden in der Luft sein dürfen. Das Flugverbot soll bis Samstagnachmittag andauern. Insgesamt sollten während des dreitägigen Staatsbesuchs bis zu 4.200 Polizisten im Einsatz sein, teilte die Polizei mit. Am Donnerstag waren es 3.500 Beamte. Aus sieben Bundesländern kam Unterstützung.
Das letzte Mal galten ähnliche Vorkehrungen 2016 beim Besuch des damaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama oder Anfang Juni 2018, als der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu zu einem Kurzbesuch nach Berlin kam. Bereiche rund um das Hotel Adlon, in dem der türkische Staatschef zweimal übernachten soll, und das angrenzende Regierungsviertel sind ebenfalls bis Samstagnachmittag eine Sperrzone. Schwer bewaffnete Polizisten patrouillieren zwischen Bundeskanzleramt, Reichstagsgebäude und dem Hotel am Brandenburger Tor. Auf dem Dach des Adlon sind vermummte Scharfschützen aus den Spezialeinheiten der Polizei postiert. Für das Personal und die Gäste des Hotels wurden Sicherheitsschleusen mit Metalldetektoren aufgebaut.
Gastbeitrag in der FAZ - Werben um Normalisierung der Beziehungen
Kurz vor seinem Besuch veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Gastbeitrag des türkischen Präsidenten. Unter der Überschrift "Erwartungen an Deutschland" wirbt Erdoğan für bessere Beziehungen beider Staaten.
Lassen Sie uns auf unsere gemeinsamen Interessen, gemeinsamen Herausforderungen und gemeinsamen Bedrohungen konzentrieren. Hierbei sollten wir bei Meinungsverschiedenheiten stets alle Kanäle des Dialogs und des Austausches offenhalten und mit einem Höchstmaß an Empathie versuchen, unsere gegenseitigen Befindlichkeiten zu verstehen.
Zugleich fordert Erdoğan eine Partnerschaft auf Augenhöhe.
Die Türkei hegt den Wunsch, ihre Beziehungen zu Deutschland, ebenso wie mit anderen Staaten, auf Augenhöhe und auf Grundlage gegenseitigen Respekts weiterzuentwickeln.
Außenpolitisch spricht sich Erdoğan in seinem Zeitungsbeitrag für einen "Schulterschluss" der Türkei und Deutschlands gegen die auf Abschottung und Strafzölle setzende Handelspolitik der USA aus. Eindringlich warnt er vor einem weiteren Erstarken des Rechtsextremismus und der Islamfeindlichkeit in Deutschland und in Europa.
Zuweilen stellt Islamfeindlichkeit gleichzeitig die größte Hürde bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU dar, so der türkische Staatschef.
Das offizielle Programm beginnt am Freitagmorgen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfängt Erdoğan mit militärischen Ehren. Später gibt es ein Arbeitsmittagessen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und abends ein Staatsbankett im Schloss Bellevue.
Wagenknecht: Empfang mit rotem Teppich und allen Ehren stärke Erdoğan nur den Rücken
Der Staatsbesuch erregt seit Wochen die Gemüter. Politiker verschiedener Parteien kritisierten unter anderem, dass der Gast aus Ankara mit militärischen Ehren empfangen und hofiert wird. Die Grünen forderten Kanzlerin Merkel auf, "eine klare Sprache" mit Erdoğan zu sprechen. Die Türkei habe es sich mit sämtlichen Partnern verscherzt und stehe auch wirtschaftlich unter Druck.
Das muss die Bundesregierung nutzen, um Erdoğan einen Kurswechsel in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit, Krieg gegen Kurden und auch bei der Bespitzelung von Türkeistämmigen durch türkische Imame in Deutschland abzuringen", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur.
Für Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht ist eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und Türkei nicht absehbar.
"Eine Normalisierung kann es nur geben, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei normalisieren", sagte sie.
Wagenknecht hält es für richtig, den Dialog aufrechtzuerhalten. Aber es sei völlig absurd, jemanden, der im eigenen Land die Demokratie abbaue und eine islamistische Diktatur errichte, "mit dem roten Teppich und allen Ehren zu empfangen". Damit stärke man Erdoğan den Rücken. Wie auch Politiker aus allen anderen Oppositionsparteien, wird auch Wagenknecht nicht am Staatsbankett im Schloss Bellevue teilnehmen. "Mit einem solchen Mann sollte man nicht feierlich dinieren", sagte Wagenknecht.
Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sprach sich indes dafür aus, den türkischen Staatspräsidenten gastfreundlich zu behandeln.
Erdoğan ist das Staatsoberhaupt eines befreundeten Landes", sagte der ehemalige Präsident des Europaparlaments dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Er selbst habe Erdoğan sowohl öffentlich als auch im persönlichen Gespräch kritisiert. Bei einem Staatsbesuch müsse und solle man Gastfreundschaft aber auch tatsächlich gewähren.
Wenn wir jetzt eine Lex Erdoğan schaffen würden, wie sollen wir dann demnächst mit (US-Präsident) Donald Trump, (dem ungarischen Ministerpräsidenten) Viktor Orbán oder dem saudi-arabischen König umgehen?
Am Donnerstagmittag soll Erdoğan in Berlin zunächst hinter verschlossenen Türen mit Vertretern türkischer Organisationen sprechen. Die Entscheidung über die Vergabe der Fußball-Europameisterschaft 2024, um die Deutschland und die Türkei konkurrieren, wird er von Berlin aus verfolgen. Am letzten Tag des Besuchs nimmt er an der Eröffnung der DİTİB-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld teil. Zu der Veranstaltung will die Polizei nach eigenen Angaben aus Sicherheitsgründen nur 5.000 Besucher durchlassen. Auch strenge Kontrollen der Menschen vor Betreten des abgesperrten Bereichs rund um die Moschee sind seitens der Kölner Polizei angekündigt worden.
(rt deutsch/dpa)