Anti-Terror-Fahnder in Berlin klagten monatelang über enorme Arbeitsüberlastung. Das Islamismus-Dezernat schrieb sogar Überlastungsanzeigen. Es verwies darauf, dass immer mehr islamistische Gefährder zu beobachten sind, aber die Zahl der Mitarbeiter nicht erhöht wird. Die Leiterin des für politische Taten zuständigen Staatsschutzes, Jutta Porzucek, sagte im Amri-Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sogar, dass die Anti-Terror-Abteilungen des Berliner Staatsschutzes vor dem islamistischen Anschlag am 19. Dezember am Berliner Breitscheidplatz an der Grenze ihrer Arbeitsfähigkeit gewesen seien:
Im Laufe des Jahres 2016 wurden die Belastungen zunehmend so groß, dass ich den LKA-Leiter immer wieder darauf hingewiesen habe", so Porzucek.
Nun aber berichtet die Zeit, dass der Chef des Islamismus-Dezernats, Axel B., überraschend genug Zeit und Kraft hatte, einem Nebenjob nachzugehen. So soll er auch mehrtägige Seminare zum Thema Krisenmanagement gegeben haben. Die Pressestelle der Polizei Berlin bestätigte dem Blatt, dass der damalige Dezernatsleiter im Jahr 2016 an 36 Tagen eine Nebentätigkeit ausgeübt habe, unter anderem als Seminarleiter für eine private Sicherheitsakademie. Die sei aber genehmigt gewesen und es seien "keine Beeinträchtigungen beziehungsweise Beschränkungen bei der Ausübung seines Hauptamtes" festgestellt worden. B. sei ein leistungsstarker und hoch motivierter Mitarbeiter, so im Bericht weiter. Er habe dafür Wochenenden und freie Tage genutzt.
In seiner Behörde sollen chaotische Zustände geherrscht haben
Gegen zwei damalige Mitarbeiter von Axel B. ermittelt die Staatsanwaltschaft inzwischen, weil sie im Verdacht stehen, nach dem Anschlag interne Akten manipuliert zu haben, um Fehler zu vertuschen. Im Rahmen der Ermittlungen befragte die Staatsanwaltschaft zahlreiche Beamte aus dem für Anis Amri zuständigen Dezernat. Aus ihren Zeugenaussagen geht hervor, dass in den Monaten vor dem Terror-Anschlag von Anis Amri chaotische Zustände im Dezernat herrschten. Der Sonderermittler des Berliner Senats zum Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt, Bruno Jost, berichtete ebenfalls, dass im Zuge des geplanten Um-und Ausbaus der Behörde neue Beamten kaum eingearbeitet wurden, weil damals keiner Zeit hatte.
Genau in diesen Monaten soll dem Zeit-Bericht zufolge der Dezernatschef aber mehrere Seminare abgehalten haben. So soll B. im April und Juni 2016 bei mehreren Wirtschaftsvertretern über Krisenmanagement referiert haben. Im September soll er in einer Privatakademie in Stuttgart ein Seminar zum Thema "Notfallmanagement" gegeben haben.
Fall Anis Amri blieb liegen, Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Berliner Beamten
Zu diesem Zeitpunkt war Anis Amri bereits in Berlin, seine Überwachung wurde nur nach wenigen Wochen im Juni 2016 abgebrochen. Der Fall blieb liegen. Auch ein Terror-Ermittler aus Nordrhein-Westfallen sagte vor dem Berliner Untersuchungsausschuss, dass seine Behörde verärgert gewesen sei, weil die Berliner Kollegen die Absprachen nicht eingehalten hätten. Es habe Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit beider Polizeien gegeben, auch in den Sitzungen des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (Gtaz), wo Anis Amri Thema war.
Das Problem ist die Dezernats- und Abteilungsleitung gewesen. In Nordrhein-Westfalen waren die immer gebrieft. Doch es fand sich kein adäquater Ansprechpartner auf der anderen Seite", sagte der Terrorermittler.
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Designierte Obfrau der Linken im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestages, Martina Renner, sagte darauf:
Die Dienstvorgesetzten von B. müssen sich fragen lassen, warum dem Leiter des Islamismus-Dezernats ein Freibrief für Nebentätigkeiten ausgestellt wurde, obwohl die Überlastung dieses Dezernats bei der LKA-Leitung bekannt war.
Inzwischen wurde B. befördert. Er ist nicht mehr Chef des Islamismus-Dezernats, sondern leitet die renommierte Abteilung 1 des Landeskriminalamts, die für Kapitaldelikte zuständig ist.