Von Felicitas Rabe
Seit Anfang Mai läuft der Gerichtsprozess gegen den Internisten Dr. Walter Weber vor dem Landgericht Hamburg. Dem Gründer der "Ärzte für Aufklärung" wird zur Last gelegt, er habe in 57 Fällen sogenannte falsche Maskenbefreiungsatteste ausgestellt. Für das Verfahren gegen den 80-jährigen Mediziner wurden insgesamt 18 Prozesstage anberaumt.
Am Montag äußerte sich der Arzt zum laufenden Verfahren. In einer öffentlichen Erklärung teilte er seine Wahrnehmung über die Vorsitzende Richterin Dr. Nele Behr mit. Demnach schien die Richterin bislang nicht gewusst zu haben, wie teilweise schwer erkrankte Patienten von ihren Hausärzten "behandelt“ wurden.
Wenn Patienten aufgrund ihrer den Ärzten bekannten schweren Erkrankungen, infolge derer sie keine Mund-Nase-Bedeckung tragen konnten, um ein Maskenattest baten, wurden sie regelmäßig von ihren Hausärzten ohne Anhörung abgewiesen. Sinngemäß hätten Ärzte dies vielfach auch damit begründet, dass sie dem Anliegen der Patienten nicht nachkämen, weil sie sich vor einer Hausdurchsuchung fürchteten. Dr. Weber beschrieb das Staunen der Richterin über die Vorgänge in den Arztpraxen: "Bei den Terminen schien die Richterin Frau Dr. Behr sehr erstaunt zu hören, dass selbst langjährige Patienten mit z. T. bekannten schweren Erkrankungen von ihren Ärzten 'abgewimmelt' wurden bei dem Wunsch nach einem Masken-Befreiungs-Attest, z. T. ohne Anhörung, z. T. mit der sinngemäßen Bemerkung 'ich möchte keine Hausdurchsuchung haben!'"
Keine medizinische Indikation, sondern Angst vor Repressionen bestimmte ärztliches Handeln
Mit anderen Worten, viele Ärzte lehnten die Ausstellung von Maskenbefreiungsattesten nicht aufgrund ihrer fachlichen Bewertung der Gesundheitssituation des Patienten ab, sondern ihr ärztliches Handeln gründete in der Angst vor staatlichen Repressionsmaßnahmen und Strafen. Wie groß muss die Sorge dieser Ärzte gewesen sein, wenn sie damit sogar gegen das sogenannte Genfer Ärztegelöbnis handelten – früher bekannt als Hippokratischer Eid? Diese 1948 verfasste Deklaration wird weltweit von vielen Ärzten nach ihrer Approbation geleistet. In Deutschland gehört das Gelöbnis zur ärztlichen Berufsordnung.
Im Oktober 2017 wurde der Eid auf der Generalversammlung des Weltärztebundes (WMA) um ein wesentliches Element erweitert: die Autonomie des Patienten gegenüber seinem behandelnden Arzt. Damals hatte der Neurologe Prof. Hans-Peter Vogel vom wissenschaftlichen Fachausschuss der Bundesärztekammer erklärt: "Denn das Wohl und der Wille des Patienten müssen nicht immer übereinstimmen." – "In den letzten Jahrzehnten ist es auch rechtlich zu einer Stärkung des Patientenwillens gekommen. So können Entscheidungen getroffen werden, die gegen sein aus ärztlicher Sicht wohlverstandenes Interesse sind." In der aktuellen Version des vom Weltärztebund 1948 erstmals verabschiedeten Genfer (Ärzte-)Gelöbnisses heißt es unter anderem:
"Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren." – "Ich werde, selbst unter Bedrohung, mein medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten anwenden."
Nach Interpretation der Autorin dieses Beitrags hieße das: Sogar in den Fällen, in denen die Ausstellung eines Maskenattests medizinisch umstritten sein könnte, wären die Ärzte nach dem Genfer Gelöbnis verpflichtet, im Zweifel die Autonomie des Patienten vor das Fachwissen zu stellen – wie zum Beispiel bei der Anfrage nach einem Maskenbefreiungsattest. Erst recht müssten sie diese Atteste ausstellen, wenn die Befreiung von der Maskenpflicht aus ärztlicher Sicht indiziert wäre.
Schließlich sind sie nach dem Genfer Gelöbnis "selbst unter Bedrohung" verpflichtet, ihr medizinisches Wissen nicht zur Verletzung von Menschenrechten anzuwenden. Aber die tatsächliche Bedrohung durch polizeiliche Hausdurchsuchungen und durch den Staat war für viele Ärzte offensichtlich und nachvollziehbar so bedrohlich und angstbehaftet, dass sie quasi entgegen dem Genfer Gelöbnis handelten. Wie Dr. Weber erklärte, hätten manche Ärzte ihre Ablehnung von Attestausstellungen gegenüber ihren Patienten sinngemäß genau so dargestellt.
Strafverteidiger Ivan Künnemann erläutert die Ängste der Ärzte
Sein Verteidiger, Rechtsanwalt Ivan Künnemann, erläuterte am Dienstag im Telefoninterview mit der Autorin die Angst der behandelnden Ärzte aus seiner juristischen Praxis:
Vielfach habe der Anwalt erlebt, dass Patienten, die wegen Maskenverweigerung als Angeklagte vor Gericht standen, nur deshalb frei gesprochen wurden, weil sie schwerwiegende Befunde von Fachärzten und Kliniken vorlegten. Aus den Befunden sei unzweifelhaft hervorgegangen, wie schwer solche Patienten an Lungen- oder Herzerkrankungen litten.
Eine Behinderung der Atmung durch eine Maske habe für diese Angeklagten eindeutig ein hohes gesundheitliches Risiko bedeutet. Weil die behandelnden Fachärzte meistens nicht bereit gewesen seien, ihnen die Maskenatteste auszustellen, hätten die Patienten sich in ihrer Not an kritische Ärzte gewendet. Aufgrund der eingereichten Befunde und damit offensichtlich belegten medizinischen Notwendigkeit einer Maskenbefreiung seien solche Patienten vor Gericht frei gesprochen worden. Der Strafverteidiger von Dr. Weber erklärte:
"Vielfach sind Patienten, die über ein Maskenattest von einem kritischen Arzt verfügten, in ihren Strafverfahren frei gesprochen worden. Warum? Weil sie gesundheitlich schwer wiegende Befunde von Kliniken und Fachärzten vorlegen konnten. Dennoch war keiner der behandelnden Ärzte bereit, die Patienten von der Maske zu befreien."
Zum Teil hätten Ärzte von schwer erkrankten Patienten das Maskenattest nicht ausgestellt, weil sie der Meinung gewesen seien, das Coronavirus sei so gefährlich, dass die Patienten trotz hohem gesundheitlichen Risiko eine Maske tragen müssten. Zum Teil hätten die Ärzte aber auch nach Erfahrung des Anwalts die Atteste nur deshalb nicht ausgestellt, weil ihre Angst vor einer Hausdurchsuchung zu groß gewesen sei. Dazu müsse man wissen, so der Anwalt: "Es gab Hausdurchsuchungen bei Ärzten, die gerade mal ein Attest ausgestellt hatten." In einem anderen Fall vor Gericht habe der Arzt vier Maskenbefreiungsatteste ausgestellt.
Neue Initiative von Dr. Weber: Wie viele Ärzte, Heilpraktiker, Psychologen und Patienten mussten in Deutschland Hausdurchsuchungen erleben?
Bis heute sei überhaupt nicht bekannt, wie viele Hausdurchsuchungen insgesamt in Deutschland bei Menschen in Heilberufen und bei Patienten stattgefunden hätten, erklärte Künnemann. Der Aufruf von Dr. Walter Weber sei im Sinne der Aufklärung daher von großer Bedeutung. Weber bittet in seiner Mitteilung vom Montag darum, dass sich alle Menschen, die in der Coronazeit eine Hausdurchsuchung erleben mussten, bei ihm melden. Der Gründer der Ärzte für Aufklärung appelliert:
"Darum mein Wunsch, dass alle Ärzte, Heilpraktiker, sonstige in Pflegeberufen tätige Menschen und Patienten, die in den letzten Jahren eine Hausdurchsuchung hatten bzw. Maskenatteste ausgestellt haben, sich melden bei bzw. schreiben an: walterw@drwalterweber.de."
Die Sammlung von Informationen über Hausdurchsuchungen sei deshalb wichtig, so Dr. Weber, weil deutsche Richter anscheinend keine oder kaum Vorstellung darüber hätten, wie der deutsche Staat in der Coronazeit mit Ärzten und Patienten umgegangen sei. Nach Informationen der Ärzte für Aufklärung hätten fast alle Ärzte, die Maskenatteste ausstellten, teilweise brachiale Hausdurchsuchungen erlebt.
Viele dieser Ärzte seien verklagt worden und stünden vor Gericht. Über die Zustände müssten die Richter aufgeklärt werden, erklärte Dr. Weber: "Ich glaube, die Richterschaft in Deutschland hat keine oder wenig Ahnung, was in den letzten Jahren beim Umgang des Staates im Rahmen der sog. Corona-Maßnahmen insbesondere bei den Ärzten, den medizinischen Berufen und natürlich auch den Patienten abgelaufen ist. Es wird Zeit, diese Information zu erheben und an die Richterschaft als eigenständige Gewalt unserer Demokratie weiterzugeben."
Dr. med. Walter Weber praktiziert als Internist und Onkologe in Hamburg. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Psychosomatik und Krebsbehandlung. Für sein Strafverfahren wegen angeblichen "Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse" wurden insgesamt 18 Verhandlungstage angesetzt. Die nächsten Verhandlungen finden am 19. Juni und am 25. Juni jeweils um 9:15 Uhr im Hamburger Landgericht statt.
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