Von Dagmar Henn
Das verspricht, ein lustiges Theater zu werden. Auf der einen Seite die expliziten Aufforderungen an Sahra Wagenknecht, jetzt doch bitte mit der neuen Partei zu Potte zu kommen. Und auf der anderen Seite mühsame Versuche, die CDU irgendwie als antiwoke Partei abzüglich der "Nähe zu Russland" zu schustern.
Die Rolle, diese Version zu servieren, wurde ausgerechnet Jens Spahn angetragen. Er gab sich auch große Mühe, zu liefern, und der Moderator Markus Lanz arbeitete sich daran ab, ihm die entsprechenden Vorhaltungen zu machen – auch die CDU spreche von "Heizhammer" und sei damit rhetorisch aggressiv. Spahn wiederum äußert in der Debatte über die Verantwortung für den AfD-Sieg in Sonneberg ganz kühn, man bekäme ja schon Vorwürfe, wenn man gegen unbegrenzte Einwanderung sei und erkläre, es gebe zwei biologische Geschlechter. Es wird also alles getan, um die CDU als mögliches Auffangbecken für Ampelgegner zu präsentieren.
Das dürfte größtenteils vergebene Liebesmüh sein, denn viele Deutsche sehen sich keine dieser Talkshows mehr freiwillig an. Tatsächlich genügt auch eine Sendung pro Halbjahr – egal welche –, um zu wissen, wie die Sprechblasen klingen, die gerade aktuell sind. Das Böse an der AfD wird jedenfalls vor allem an einem Punkt festgemacht, auch wenn Spahn brav und politisch korrekt zuvor Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit erwähnt: die "Nähe zu Russland". An diesem Punkt läuft Spahn zur Höchstform auf und stößt den Namen Putin hervor, als ginge es um einen Exorzismus.
"Der größte Vorwurf (...) den wir vielleicht stärker auch rausarbeiten sollten, alle miteinander (...) dass sie am Ende eben auch PUTIN unterstützt, diesen Kriegstreiber, diesen Menschen, der Millionen auf dem Gewissen hat, was Vergewaltigung angeht, was Mord angeht, was Kinderentführung aus der Ukraine angeht, und die lassen sich, nach allem, was wir wissen, in Teilen von ihm finanzieren, und reden ihm nach dem Mund. Das erleben wir im Bundestag jede Woche, und ich finde, das muss man auch mal wieder deutlich machen, das ist eigentlich auch ein Stück Verrat am eigenen Land."
Erinnern wir uns einmal daran, wer das sagt. Jens Spahn, Gesundheitsminister unter Angela Merkel, also intensiv beteiligt an den Corona-Maßnahmen, in diverse Skandale um Maskenkäufe und Zahlungen an Klinikkonzerne verwickelt. Der Mann, der für einen viel zu niedrigen Preis die Villa eines ehemaligen US-Botschafters übernahm – was man durchaus als kleine Gefälligkeit für treue Dienste werten könnte –, wirft der AfD Verrat vor, weil sie "Putin nach dem Mund redet."
Als vor kurzem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf die Attacken aus der CDU auf seinen Freund und Untergebenen Patrick Graichen wegen dessen undurchsichtiger Geschäfte mit der kaum verhüllten Drohung antwortete, er werde gerne alle Informationen zu dessen Beteiligungen veröffentlichen, wenn Gleiches auch für ehemalige Minister und Staatssekretäre der Fall sei, musste vermutlich jeder Hörer instinktiv an Jens Spahn denken. Dass ausgerechnet er nun wieder nach vorne geschoben wird, deutet an, dass diese Rolle schwer zu besetzen ist.
Er überzieht sogar die Vorgaben der gegenwärtigen Propaganda – "Millionen auf dem Gewissen"? Wer danach sucht, sollte es besser bei diversen US-Präsidenten versuchen. Jemen, Irak, Syrien... Spahn war immerhin Mitglied der Regierung Merkel und kann daher, auch als ehemaliger Gesundheitsminister, nicht so tun, als wäre er ahnungslos oder unbeteiligt, was Angela Merkels Betrug mit Minsk II betrifft. An diesem Punkt hat schließlich die Ampel nur fortgesetzt und verschärft, was bereits unter der Regierung Merkel angelegt war.
"Ein Stück Verrat am eigenen Land" – bei der Aussage geht man in Gedanken durch, was alles in diese Kategorie fallen könnte. War Merkels Agieren bereits einer? Angesichts der Tatsache, dass währenddessen den Deutschen zugesichert wurde, man setze sich für eine friedliche Lösung in der Ukraine ein? War es erst die Unterwerfung von Olaf Scholz unter die Vereinigten Staaten?
Spahn mit seinem Villenbonus jedenfalls ist nicht wirklich die geeignete Person, anderen Landesverrat vorzuwerfen, weil sie "Putin nach dem Mund reden." Selbst wenn die Behauptung zuträfe, dass die AfD Gelder aus Russland erhält – was ist das gegen ein persönliches Geschenk an ein Mitglied einer amtierenden Bundesregierung? Von der engen Freundschaft Spahns mit dem damals scheidenden US-Botschafter Richard Grenell ganz zu schweigen. Das ist nicht mehr Glashaus und Steine, da geht es schon um Reagenzglas und Felsbrocken. Der einzige Grund, warum er einen derartigen Satz von sich geben kann, ist, dass ein Verrat des eigenen Landes an die Vereinigten Staaten irgendwie nicht möglich zu sein scheint. Wobei mit Sicherheit nach wie vor aus einigen Industriebetrieben das Gegenteil erzählt werden könnte.
Dass das Stichwort Landesverrat überhaupt ins Spiel gebracht wird, zeigt, wie groß die Verzweiflung ist. Schließlich ist es alles andere als ungefährlich, dieses Fass aufzumachen, nicht nur für Herrn Spahn persönlich. Da ist immerhin noch eine ganze amtierende Bundesregierung, die auf eine Kriegshandlung von Verbündeten reagiert, als wäre da nichts passiert, rein gar nichts. Im Gegenteil, die die Folgen der Bevölkerung noch als Segen verkauft. Wie gut, dass die lieben USA uns von der Abhängigkeit von russischem Gas befreit haben. US-Frackinggas ist doch viel sicherer, weil die Vereinigten Staaten dafür bekannt sind, noch nie ein Land genötigt, erpresst oder schlicht zerstört zu haben.
Man kann es nicht oft genug sagen: Viele Strategien früherer Bundesregierungen hatten das Ziel, die Bundesrepublik weniger abhängig von Erdöl zu machen, das per Seeweg transportiert wird. Warum? Weil es genügend historische Beispiele gibt, dass das einer Seemacht die Möglichkeit verleiht, die Energieversorgung anzugreifen (was übrigens genau das ist, was mit der Sprengung geschehen ist). Und weil die Bewertung, welche "Abhängigkeit" gefährlich ist und welche nicht, durchaus nicht von der Frage zu trennen ist, wie sich das Land, in dessen Gewalt man sich begibt, in der Vergangenheit verhalten hat.
Was sich schnell klären lässt, wenn man betrachtet, dass all die Jahre hindurch, als die Kiewer Regierung die Bevölkerung des Donbass beschießen ließ, das russische Erdgas nach wie vor in die Ukraine strömte. Und die USA? Haben die Angewohnheit, zu Sanktionen zu greifen, Verträge nicht einzuhalten und im Ernstfall Seeblockaden zu verhängen (man werfe einen Blick auf den Jemen), um selbst die Nahrungsversorgung zu unterbrechen.
Das sind selbstverständlich keine Überlegungen, die in der Grenell-Villa stattfinden. Was die Bemühungen Spahns, den Patrioten zu geben, ausgesprochen lächerlich wirken lässt. Die Debatte um die Folgen der Entscheidung gegen Nord Stream wurde so sehr unterdrückt, dass selbst die Vertreter der deutschen Industrie nur noch flüsternd Widerspruch einlegten; das lässt sich im Nachhinein nicht reparieren. Da wurden die Interessen der Bevölkerung und des Landes reineweg verraten. Und dass sich die deutsche Regierung als Fußabtreter der Vereinigten Staaten behandeln ließ und nicht einmal ansatzweise so tat, als sei der Terrorakt in der Ostsee von Bedeutung, und auch die CDU von Herrn Spahn bis heute das Kind nicht beim Namen nennt, sondern mit Sicherheit den gleichen Verrat begangen hätte wie die Ampel, sorgt dafür, dass solche Bemühungen vorerst auch nicht viel Erfolg haben dürften.
Witzig ist dabei, dass man sich nicht einig zu sein scheint, ob man nun nicht doch ein wenig Luft lassen sollte. Damit zumindest gelegentlich erwähnt werden kann, dass Waffenlieferungen an die Ukraine mit nach oben offener Eskalationsskala weder schlau noch im deutschen Interesse sind. Denn auch die in manchen Medien geradezu herbeigebetete Wagenknecht-Partei würde genau an dem Punkt, den Spahn als "größten Vorwurf" und "Verrat am eigenen Land" der AfD vorhält, die gleiche Position vertreten. Was natürlich ein klein wenig daran liegt, dass wir hier von objektiven, nicht von subjektiven Interessen reden, die verraten wurden.
Wenn NATO-Treue und das Wiederkäuen der ukrainischen Sicht auf die Welt die Voraussetzungen sind, um von Spahn und der Ampeltruppe als Vertreter einer legitimen politischen Position gesehen zu werden, und ihnen jede andere Sicht als "Verrat am eigenen Land" gilt. Dann besteht das Problem eben nicht in der AfD oder einer möglichen Wagenknecht-Partei, sondern vielmehr darin, dass größere Teile der Bevölkerung ihr eigenes wie das nationale Interesse ganz anders sehen.
Was kein Wunder ist. Denn für die meisten Deutschen bedeutet dieser Lakaiengehorsam, dass ihr Lebensstandard sinkt, sie unter der Inflation leiden, ihre Arbeitsplätze bedroht sind und durch die begierige Eskalation der US-Außenpolitiker womöglich gar ihr Überleben. Und selbst, wenn sie das alles ignorierten – mit einer Villa würden sie dennoch nicht belohnt.
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