Felicitas Rabe im Interview mit dem Strafverteidiger Dirk Sattelmaier
Der Beschuldigte Robert Höschele wurde in der ehemaligen Sowjetunion, in Usbekistan geboren. Väterlicherseits stammt er von Russlanddeutschen ab. Die jüdische Familie immigrierte 1981 nach Deutschland. Am 14. Februar 2021 trat der deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens in München auf der Versammlung unter dem Motto "Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung..." als Redner auf. Im Rahmen seiner Rede gegen die Coronamaßnahmen-Politik machte er unter anderem folgende Aussagen:
"Doch 75 Jahre später steckt der Freistaat und seine Menschen in einem 11 Monate dauernden Gefängnis, das einem Arbeitslager gleicht, das die Regierung 'Lockdown' nennt.
76 Jahre nach der Befreiung von Vernichtungs- und Konzentrationslagern wie Auschwitz und Dachau werden Gesetze beschlossen, die das Internieren und Separieren von Menschen vorschreiben."
Die Polizei schritt trotz mutmaßlichem Offizialdelikt nicht ein – Anzeige erfolgte erst neun Monate später
Was ist nun das Besondere an diesem Fall? Sein Mandant sei nicht direkt im Anschluss an seine Münchner Rede angezeigt worden, erklärte Rechtsanwalt Sattelmaier im Interview. Erst neun Monate später, im November 2021, habe ein Verein namens "RIAS Bayern" anlässlich eines im Internet veröffentlichen Videos der Rede Höscheles, Strafanzeige gegen diesen ertsattet. Angeblich soll er sich nach § 130 Abs. 3 StGB der Verharmlosung des Holocausts schuldig gemacht haben.
Dazu müsse man wissen, so der Strafverteidiger, dass der Volksverhetzungsparagraph 130 StGB ein Offizialdelikt sei. Das heiße, jeder Polizist, der Zeuge solch einer Straftat werde, müsse diese laut Gesetz umgehend zur Anzeige bringen. Auf der Kundgebung am 14. Februar 2021 habe es eine sehr hohe Polizeipräsenz gegeben und keiner der anwesenden Polizisten habe an der Rede etwas beanstandet, geschweige denn zur Anzeige gebracht.
So ermittelte die Staatsanwaltschaft München also erst neun Monate später, nach der Anzeige von RIAS Bayern, gegen den Betriebswirt. Die Staatsanwaltschaft kam zu dem Schluss, dass der jüdische Mitbürger Höschele den Holocaust verharmlost habe und schickte ihm einen Strafbefehl über 90 Tagessätze. Dies entspreche etwa dem Wert von drei Netto-Monatsgehältern, erläuterte Sattelmaier das Strafmaß.
Höschele habe Einspruch gegen den Strafbefehl erhoben und sich vor dem Amtsgericht München in erster Instanz ohne Anwalt selbst verteidigt. Die Verhandlung fand am 22. November 2022 statt. Im Ergebnis befand das Gericht, Höschele habe den Holocaust verharmlost, und erhöhte das Strafmaß sogar noch auf 120 Tagessätze. Somit sei der bislang nicht vorbelastete Betriebswirt vorbestraft, mit allen Konsequenzen für seine soziale Reputation.
Mit seinem neuen Strafverteidiger ging Höschele in Berufung. Sattelmaier beantragte nach einer vierstündigen Verhandlung Freispruch. Gleichzeitig ging auch die Staatsanwaltschaft in Berufung und beantragte eine Erhöhung der Strafe auf 130 Tagessätze. Das Berufungsverfahren fand am 6. Juni 2023 vor dem Landgericht München statt. Das Gericht befand Höschele erneut für schuldig, senkte die Strafe aber wieder auf 90 Tagessätze.
Sattelmaier hat für seinen Mandanten hiergegen das Rechtsmittel der Revision eingelegt und geht somit in die dritte und letzte Instanz. Die schriftliche Urteilsausfertigung bzw. -begründung liegt noch nicht vor.
In der Coronazeit übereifrige Anwendung des Gesetzes gegen die Verharmlosung von Nazi-Verbrechen
Nach Sattelmaiers Auffassung sei es bei diesem und anderen Verfahren grundsätzlich problematisch, dass die Staatsanwaltschaften – und im Anschluss an das Ermittlungsverfahren leider auch die Gerichte – in der Coronazeit den Straftatbestand des Verharmlosens von Verbrechen des Nationalsozialismus zu unbedacht angewandt hätten:
"Der Knackpunkt bei diesem und anderen Verfahren in der Coronazeit ist der, dass der Tatbestand des Verharmlosens gem. § 130 Abs. 3 StGB von Verbrechen im Nationalsozialismus meines Erachtens nach von den Strafprozessbehörden im Übereifer angewandt wurde, um unliebsame Meinungen strafrechtlich zu verfolgen."
Und dass in diesem Falle ein jüdischer Mitbürger der Verharmlosung des Holocausts bezichtigt würde, mache es noch schlimmer, so der Strafverteidiger.
"In meinen Augen drängt sich hier leider der Verdacht einer Art von Missbrauch dieses Tatbestands auf. Und wenn es sich um Missbrauch handeln sollte, dann noch einen Juden zu verurteilen, das macht den Fall einzigartig."
Im Interview ging es dann um die Frage, ob Höschele überhaupt den Tatbestand der Verharmlosung von Nazi-Verbrechen erfüllt habe. Dazu müsse man wissen, so Sattelmaier, dass § 130 Abs. 3 StGB, also das Unterstrafestellen des Leugnens, Billigens oder Verharmlosens von Nazi-Verbrechen, erst im Jahr 1994 geschaffen wurde. Dem Gesetzgeber sei die damit verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit klar gewesen. Vor 1994 seien Holocaustleugner in der Regel straffrei davon gekommen, und dem wollte man einen Riegel vorschieben.
Das Schutzgut der Rechtsvorschrift ist der "öffentliche Frieden" – damit sollten in Gewalt ausartende Pogromstimmungen verhindert werden
Die Anwendung des Tatbestandes der Volksverhetzung sei für Juristen grundsätzlich sehr komplex. Bei der 3. Tatvariante des § 130 Abs.3 StGB gelte es zu bewerten, ob eine Verharmlosung eines von den Nationalsozialisten begangenen Kriegsverbrechens vorliege. Im Hinblick auf die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit habe der Gesetzgeber eine Restriktion in das Gesetz eingebaut:
Die Äußerungen des Täters müssen geeignet sein, um den öffentlichen Frieden zu stören. Dabei ging man Anfang der neunziger Jahre davon aus, dass die Aussagen geeignet sein müssen, eine Art "Pogromstimmung" entstehen zu lassen, wo die Bevölkerung regelrecht aufgehetzt werde. Es sei daher ganz wichtig, zu verstehen: Das Schutzgut dieses Strafgesetzes ist der "Öffentliche Frieden".
Insofern sei zunächst einmal gar nicht jede Verharmlosung automatisch strafbar. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre hab sich dazu einiges an Rechtssprechung und Gerichtsurteilen angesammelt. Aus diesen Urteilen ergebe sich, dass laut Bundesverfassungsgericht (BVG) das "Leugnen oder Billigen" des Holocausts grundsätzlich immer strafbar sei, da in diesen Fällen eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens indiziert sei. Das gelte aber nicht für das "Verharmlosen". Beim "Verharmlosen" müsse immer explizit geprüft werden, ob die Äußerungen geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören. Und im Fall Höschele habe sowohl das Amtsgericht München als auch die Staatsanwaltschaft nicht oder höchstens rudimentär geprüft, ob der öffentliche Friede durch Höscheles Aussage gestört worden sei.
Im Jahr 2018 fällte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Grundsatzentscheidung darüber, wann eine Verharmlosung geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, und wann nicht. Das BVerfG definierte quasi, wann eine Verharmlosung von Verbrechen den öffentlichen Frieden stören würde:
"Das BVerfG gab vor, dass die Aussage der Verharmlosung sich so auf den Zuhörer auswirken müsse, dass dieser möglicherweise in eine rechtsgutgefährdende Stimmung, eine sogenannte Pogromstimmung gerate," erklärte Sattelmaier die Definition des Bundesverfassungsgerichts.
Nicht ausreichen würden zum Beispiel eine Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas oder das Hervorrufen von Ängsten. Aber mit genau dem Letztgenannten habe das Amtsgericht den Mandanten verurteilt, so der Rechtsanwalt weiter.
Dabei müsse man sich im Fall Höschele fragen, ob es sich überhaupt um eine Verharmlosung im Sinne des Gesetzgebers handele. Dazu erklärte Sattelmaier:
"Die Staatsanwaltschaften sind in der Coronazeit dazu übergegangen, bereits jegliche noch so geringe Bezugnahme auf Verbrechen der Nationalsozialisten als Verharmlosung zu werten und dann anzuklagen. Und zahlreiche Gerichte – nicht alle – machen das mit."
Eine Gleichsetzung von "damals und heute" sei offenbar gar nicht mehr erforderlich. Dabei beziehe sich Höscheles erste Aussage gar nicht auf den Nationalsozialmus, sondern auf die Präambel des Bundeslandes Bayern und die aus dem Jahr 1946 stammende bayrische Landesverfassung.
Handelt es sich bei Höscheles Aussage überhaupt um eine Verharmlosung von Nazi-Verbrechen?
Höscheles zweite Aussage erläuterte der Strafverteidiger wie folgt: In der zweiten Äußerung nehme Höschele Bezug auf die Vernichtungslager Auschwitz und Dachau. Er stelle fest, dass es 75 Jahre danach wieder Vorschriften zum Separieren von Menschen gebe. Diesbezüglich müsse man wissen, so der Anwalt, dass auf der Demo in München die Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Gesichtsmaske tragen konnten, in einem von der Polizei festgelegtem Extra-Areal separiert von den anderen Demonstrationsteilnehmern stehen mussten.
Jeder möge selbst entscheiden, ob er Höscheles Aussage in diesem Kontext als Verharmlosung des Holocausts bewertet, schlug Sattelmaier vor. Es sei in jedem Fall eine Meinungsäußerung:
"Man muss diese Meinung nicht teilen, aber als Jurist kann ich sagen, dass ich diese Meinungsäußerung für nicht strafbar erachte. Denn es handelt sich nicht um eine Verharmlosung im Sinne des Gesetzes und schon gar nicht ist die Aussage geeignet den öffentlichen Frieden zu stören."
Das Gericht werfe Höschele nun allerdings vor, dass er den öffentlichen Frieden mit seinem Aufruf "Widersetzt Euch den Maßnahmen" gestört habe und damit den Tatbestand erfüllt habe. Diese Aussage habe sein Mandant aber in seiner Rede erst an viel späterer Stelle und in einem völlig anderen Kontext geäußert. Insofern könne man diesen Aufruf jetzt nicht mit seinen an früherer Stelle getätigten Aussagen "verwursten", um dann daraus irgendwie eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens im Sinne des § 130 Absatz 3 StGB zu konstruieren.
Der Kölner Strafverteidiger Dirk Sattelmaier berichtet auf seinem Telegramkanal in der Videoreihe "Neues aus dem Gerichtssaal" regelmäßig von besonderen Gerichtsverfahren und von Fällen, die er als Strafverteidiger vertritt.
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