Der deutsche Unternehmer und Autor Marc Friedrich hat am Montag mit dem US-amerikanischen Investigativjournalisten Seymour Hersh ein Interview zu den Anschlägen auf die deutsch-russischen Erdgas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 im vergangenen September geführt. Zuvor hatte sich Hersh auf der Autoren-Plattform Substack in mehreren Artikeln zu den Hintergründen des Anschlags geäußert und die USA beschuldigt, die Aktion von langer Hand geplant und mithilfe von Norwegen durchgeführt zu haben. Hersh beschuldigte außerdem den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, von den USA wenigstens nachträglich eingeweiht worden zu sein und seither die wahren Schuldigen zu decken. Hershs jahrzehntelange Arbeit als Investigativjournalist hat ihm viele Kontakte in hochrangigen Positionen verschafft, die er aber nicht preisgeben kann. Wie Hersh gegenüber Friedrich betonte: Wer Namen nennt, lebt nicht mehr lange.
Biden setzte vollständig auf Sieg der Ukraine
Zu den Gründen der Entscheidung für die Sprengung sagte Hersh, dass die deutsch-russische Annäherung im Zuge von Kanzler Willy Brandts Ostpolitik den USA bereits damals ein Dorn im Auge gewesen sei. Als Nord Stream 1 im Jahr 2011 fertiggestellt wurde, sorgten die riesigen Mengen günstigen russischen Erdgases nicht nur für einen immensen Antrieb für die erdgasintensive Industrie und Hersteller wie BASF. Deutschland konnte sogar überschüssiges Erdgas an andere Länder weiterverkaufen. Als Nord Stream 2 zehn Jahre später fertiggestellt wurde und die USA bereits Sorgen über die Möglichkeit eines russisch-ukrainischen Krieges äußerten, übte man auf die deutsche Regierung Druck aus, die zweite Pipeline zu sanktionieren.
Als der Krieg im Februar 2022 schließlich ausbrach, habe sich die Biden-Administration für die enorme finanzielle und militärische Unterstützung für Kiew entschieden und das Gleiche von den NATO-Partnern in Europa erwartet. Besonders auf Deutschland sei seitdem enormer Druck ausgeübt worden, obwohl Deutschland überhaupt kein Interesse daran habe, eine bedeutende Militärmacht zu werden, wie Hersh betonte. Während die USA immer weitere Milliarden US-Dollar in die Ukraine gepumpt hätten, um sie kampffähig zu halten – mittlerweile ist diese Unterstützung auf 120 Milliarden US-Dollar gewachsen –, sei Biden beunruhigt gewesen, dass die Bundesregierung versuchen könnte, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland für den Fall der Niederlage Kiews warm zu halten.
Auch aus innenpolitischen Erwägungen setze Biden alles auf einen Sieg Kiews, obwohl es sogar in US-Sicherheitskreisen Personen gegeben habe, die dieser Position gegenüber skeptisch gewesen seien. Und auch die Mehrheit der US-amerikanischen Öffentlichkeit sei mittlerweile gegen eine Fortsetzung der Unterstützung. Die Sprengsätze seien wahrscheinlich mit Unterstützung norwegischer Taucher an den Röhren angebracht worden, Monate bevor sie gesprengt wurden. Dann habe Biden entschlossen, dass Deutschland keine Option mehr haben sollte, zum Zustand vor dem Krieg zurückzukehren, und die Sprengung befohlen.
Wer sammelte wohl die nicht explodierte Bombe ein?
Bidens Hauptmotiv sei also gewesen, da er Deutschland nicht ewig verpflichten konnte, den Krieg der USA in der Ukraine zu führen, den Deutschen das russische Gas wegzunehmen. Während die USA und Norwegen nun davon profitierten, dass der Gasfluss aus Russland nach Europa gedrosselt wurde, würden Unternehmen wie BASF überlegen, ihre Produktion in Länder zu verlagern, die stabiler als Deutschland sind und genug Treibstoff für die Produktion garantieren, z. B. China.
Der letzte Winter sei zwar mild ausgefallen, es sei ein LNG-Terminal gebaut worden und die Regierung habe umfassende Subventionen für die Wähler beschlossen. Im nächsten Winter aber könnte es bereits zu größeren Schwierigkeiten kommen. Die großen Unternehmen würden durchkommen, die kleinen wie Bäckereien eher nicht.
Noch weniger als die kleinen Unternehmen und die Kosten für die einfachen Bürger interessiere die Bundesregierung jedoch, wer eigentlich hinter den Anschlägen auf Nord Stream steckt. Vielmehr scheine man bemüht zu sein, zu der Causa möglichst wenig zu sagen und den Medien viel Raum für Spekulationen zu geben. Vier Erdgas-Stränge, doch nur drei Explosionen. Vielleicht hätte man hier einen Hinweis finden können? Doch raten Sie mal, so Hersh, wer kurze Zeit nach der Explosion vor Ort gewesen sei und die nicht explodierte Bombe eingesammelt habe: die USA. Eine Erklärung, wie die Anschläge durchgeführt wurden, haben währenddessen selbst die deutschen "Faktenprüfer" nicht, die Hershs Theorie zu widerlegen versuchten.
"Präsidenten sollen nicht lügen" – und Kanzler?
Insbesondere für die deutsche Öffentlichkeit wäre es von großem Interesse zu wissen, wer einen der wichtigsten Stützpfeiler der Energie- und Wohlstandssicherheit Deutschlands angegriffen und erfolgreich zerstört hat. Es handele sich bei den Anschlägen auf Nord Stream 1 und 2 ja um nicht weniger als einen kriegerischen Akt. Erste Hinweise auf die Pläne der USA – und auf die erwartbare Reaktion der Bundesregierung – habe es bereits wenige Wochen vor Kriegsbeginn gegeben. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz habe Biden damals indirekt mit der Zerstörung von Nord Stream gedroht, falls Russland in der Ukraine einmarschieren würde. Scholz, der alles gehört habe, denn er habe ja direkt neben dem US-Präsidenten gestanden, sagte hierzu – nichts.
Hersh kann gemäß den Aussagen seiner Quellen nicht behaupten, dass der Bundeskanzler in die Pläne der USA vor der Sprengung eingeweiht war. Doch spätestens ab dem 3. März 2023, als Biden und Scholz ein langes Gespräch unter vier Augen führten, in dem es laut einer Quelle von Hersh um die Pipelines ging und an dem nicht einmal die Berater des Kanzlers teilnehmen durften, scheine klar zu sein, dass Scholz den Anschlag durch die USA deckt. Der Kanzler mache sich der Geheimhaltung der Fakten schuldig. Das sei aber etwas, so Hersh, was der Kanzler nicht tun sollte. Seine Aufgabe sei es, das deutsche Volk zu schützen:
"Anfangs hat [Scholz] es vielleicht nicht gewusst. Aber sobald es passierte, spielte er das Spiel mit und hält seitdem dicht."
Biden habe sich unterdessen mit einer Lüge in die Ecke manövriert, so Hersh. Dort stecke er fest. Hier kämen dem US-Präsidenten die Medien zugute:
"[Biden] kann nicht zugeben, dass er gelogen hat. Niemand wird ihn unter Druck setzen, denn so sind die Medien heute. Sie haben Angst vor einem neuen Trump."
Präsidenten sollten aber nicht lügen, so Hersh. Deswegen werde er auch in Zukunft seine Arbeit als Investigativjournalist fortsetzen. Er brauche hierfür gar nichts tun. Die Leute würden zu ihm von allein kommen. Was für Präsidenten gelte, gelte aber auch für Kanzler. Scholz lüge zwar nicht so offen wie Biden. Doch dafür tue er das, was er am besten könne: nichts sagen.
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