Ein Jahr nach den teils chaotischen Zuständen in den Berliner Wahllokalen hält nun selbst der Berliner Verfassungsgerichtshof eine komplette Wiederholung der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus für erforderlich. Wie Gerichtspräsidentin Ludgera Selting am Mittwoch zum Auftakt der mündlichen Verhandlung mitteilte, sei es sowohl bei der Vorbereitung als auch bei der Durchführung der Wahl zu erheblichen Wahlfehlern gekommen. In einer vorläufigen Einschätzung kommen die Richter deshalb zu dem Schluss, dass diese sogar mandatsrelevant seien, somit also Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Parlaments und die Verteilung der Mandate hatten.
Ein verfassungskonformer Zustand könne nach Ansicht der Richter demnach nur durch eine komplette Wahlwiederholung herbeigeführt werden, erklärte Selting. Gut ein Jahr nach der chaotischen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus liegen dem obersten Berliner Gericht insgesamt 35 Einsprüche gegen die Wertung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den zwölf Bezirksparlamenten vor, über die das Gericht ab dem heutigen Mittwoch verhandelt. Der heutige Verfahrensauftakt ist ein wichtiger Zwischenschritt bei der Aufarbeitung der Versäumnisse am 26. September 2021. Eine endgültige Entscheidung noch am Mittwoch wird nicht erwartet, ist aber theoretisch möglich.
Viele kaum verständliche Probleme hatten bei der letzten Bundestagswahl am 26. September 2021 bundesweit für Kritik gesorgt. In Berlin wurden an diesem Tag zudem das Berliner Abgeordnetenhaus und die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen gewählt. Das sorgte insbesondere in der Bundeshauptstadt für Chaos. In zahlreichen Wahllokalen sahen sich die Wahlberechtigten mit unzumutbaren Warteschlangen, kurzfristigen Verlegungen der Wahllokale und fehlenden Stimmzetteln konfrontiert. Mancherorts ist die Stimmabgabe im vergangenen Herbst sogar noch während der ersten Ausstrahlung der Wahlprognosen nach 18 Uhr möglich gewesen, obwohl die Wahllokale deutschlandweit traditionell um 18 Uhr schließen.
Aufgrund der erheblichen Mängel hatte Bundeswahlleiter Georg Thiel nach Bekanntwerden der Unstimmigkeiten Einspruch gegen den Wahlausgang in etlichen Wahlbezirken beim Bundestag eingelegt. Berlins damalige Landeswahlleiterin Petra Michaelis musste angesichts der zuvor nie dagewesenen Probleme sogar zurücktreten. Bei der anschließenden Aufarbeitung kam eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission in ihrem Anfang Juli vorgestellten Bericht zu dem Schluss, dass die Pannen und organisatorischen Probleme bei den Wahlen absehbar und vermeidbar gewesen seien.
"Wir haben diesmal einen Zustand gehabt, in dem zu viele Dominosteine umgefallen sind: Einzelne Phänomene, die in einer normalen Wahl nicht aufgefallen wären, haben sich zu einem Chaos verdichtet", erklärte die Berliner Wahlvorsteherin Daniela Berger und fügte hinzu:
"Es war ein Stresstest für das System – und es hat nicht bestanden."
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