Kretschmer: "Russland wird auch in 100 Jahren noch da sein" – Warnung vor Energie-Tsunami

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert ein Ende der "Materialschlacht" in der Ukraine und damit auch ein Ende der Sanktionsspirale, die Deutschland wesentlicher härter als Russland selbst trifft. Er warnt vor sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen.

Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) gibt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer bedenkenswerte Ansichten zum Krieg in der Ukraine und der Energieversorgung zum Besten. Gleich zu Beginn stellt er – auch gegen den Unwillen vieler CDU-Parteikollegen – klar:

"Der Krieg in der Ukraine muss gestoppt werden. Die Waffen müssen schweigen, das Sterben muss aufhören, sonst stürzt die ganze Welt ins Chaos. Wir brauchen jetzt eine schnelle und beherzte Diplomatie. Man wird diesen Krieg nicht auf dem Schlachtfeld entscheiden. Und lassen Sie mich das noch sagen: Natürlich ist Putins Angriffskrieg Unrecht. Die Territorien, um die es geht, sind ukrainisches Gebiet. Als Reaktion auf den Krieg wollen manche alle Verbindungen mit Russland abbrechen – Verbindungen der Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und die Städtepartnerschaften. Aber Russland ist eine Realität, und es wird auch in 100 Jahren noch da sein."

Auf die Frage, ob die westlichen Sanktionen Deutschland mehr schaden als Russland, fordert Kretschmer eine Ende der Sanktionsspirale und konstatiert:

"Die Kostensteigerungen für Energie sind wie ein Tsunami, der immer größer wird. Wir müssen eingreifen und handeln. Und der erste Schritt muss das Ende dieses Krieges sein."

Kretschmer hält nichts davon, "diese Materialschlacht" noch ewig weiterzuführen, und weiß um die Stärke des flächenmäßig größten Staates der Erde:

"Russland ist stark, und das Land hat viele Ressourcen. Wie lange wollen wir diese Materialschlacht und das Sterben aushalten: Wochen? Monate? Jahre? Was ist der Plan? Wir haben jetzt ein halbes Jahr hinter uns, und wir sehen die Folgen, auch für Deutschland und Europa. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, keinen einzigen Tag. Jeder Kriegstag wird die ökonomischen und sozialen Verwerfungen auf diesem Kontinent um Wochen und Monate verlängern."

Gleichzeitig betont Kretschmer, dass sich kein Land so stark für die Ukraine eingesetzt hat wie Deutschland, auch wenn das Personen wie der ehemalige Botschafter der Ukraine in Berlin Andrei Melnyk, über den Kretschmer "nichts sagen" möchte, anders sehen. Mit Blick auf die enormen Energiekosten fordert Kretschmer, die verbliebenen drei Kernkraftwerke auch über 2022 hinaus am Netz zu lassen, und konstatiert: "Das Land braucht eine grundlastfähige Energieform, und es spricht sehr viel dafür, dass Atomkraft dabei eine Rolle spielt." Bezüglich der zunehmenden Proteste wegen der hohen Energiepreise meint der 47-Jährige:

"Unsere Aufgabe als Politiker ist es nicht zu warnen, sondern zu handeln. Viele Menschen stehen vor massiven Erhöhungen der Nebenkosten und wissen nicht, wie sie die bezahlen sollen. Und aus meiner Sicht muss es auch nicht so kommen."

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