Insbesondere, weil damit die zum Teil bereits unter den enorm gestiegenen Kosten ächzenden Verbraucher gebeten werden, noch tiefer in die Taschen zu greifen, und so teils milliardenschwere Unternehmen subventionieren, hagelt es mittlerweile von so gut wie allen Seiten Kritik an der geplanten Gasumlage.
Ausgerechnet die Partei, die in der Vergangenheit damit auffiel, Geld von unten zu mit ihr befreundeten Unternehmen zu spülen, möchte sie gar kippen. Womöglich nach der Fülle an Skandalen in den eigenen Reihen erleichtert über die Fehler anderer, macht die Union nun am lautesten Front: "Diese Gasumlage gehört abgeschafft", schimpfte CDU-Generalsekretär Mario Czaja am Mittwoch in Berlin. Aber auch von den Linken, der Grünen Jugend und auch aus der Ampel selbst kommen verschiedene Einwände.
Mit der Umlage können Großimporteure ab Oktober durch die Drosselung russischer Gaslieferungen erhöhte Beschaffungskosten ausgleichen. Dafür sollen alle Gaskunden zusätzlich 2,4 Cent pro Kilowattstunde bezahlen, Privathaushalte ebenso wie Firmen. Etwa die Hälfte aller Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt. Die Bundesregierung will den Angaben zufolge damit Insolvenzen und einen Kollaps der Energieversorgung verhindern. Allerdings stehen die Unternehmen, die von der Umlage profitieren, teils alles andere als bedürftig da.
Antragsberechtigt für den Kostenausgleich sind laut Wirtschaftsministerium Importeure von russischem Erdgas nach Deutschland. Sie müssen von einem Ausfall von Gasimportverträgen und entsprechenden Mengen unmittelbar betroffen sein, und die Verträge müssen eine direkte, physische Lieferung in das deutsche Gasmarktgebiet vorsehen. Ausgleichsansprüche haben nach Angaben von Trading Hub Europe, einem Gemeinschaftsunternehmen der Gas-Fernleitungsnetzbetreiber, zwölf Unternehmen angemeldet.
Mehr als 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die laut Wirtschaftsministerium für die Gasumlage anfallen, sollen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur an Uniper und die bisherige Gazprom Germania gehen. Uniper ist der größte Importeur russischen Gases – die Bundesregierung hatte wegen dessen finanziell angespannter Lage bereits ein milliardenschweres Rettungspaket beschlossen.
Laut Regierungssprecher sei es nur ein geringer Teil der Unternehmen, die Ansprüche geltend gemacht hätten, dies aber finanziell nicht nötig haben. Es sei um schnelle Maßnahmen gegangen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, rechtfertigte der Sprecher die Politik. Einige Firmen hätten erklärt, die Umlage nicht in Anspruch zu nehmen. Es wäre ein feiner Zug, wenn das auch andere Firmen machten.
Auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hob hervor: "Ich kann den Ärger verstehen, es geht aber nur ein kleiner Teil der Umlage an Unternehmen, die das nicht wirklich benötigen, um eine Insolvenz abzuwenden. Ich bin mir sicher, dass mit künftigen Gesetzesnovellen für mehr Transparenz gesorgt werden kann", so Müller in der Neuen Osnabrücker Zeitung. "Aber ich glaube, die Umlage ist zielgenauer als ihr Ruf, auch wenn das so bisher nicht offen nachvollziehbar ist."
Ein kleiner Teil von 34 Milliarden könnten allerdings noch immer Milliarden sein. Kritischer klingen die Stimmen aus der Opposition und zunehmend auch aus der Ampel. Linken-Parteichef Martin Schirdewan hatte schon Mitte des Monats zu Protesten aufgerufen und für einen Gaspreisdeckel plädiert: Ein Grundkontingent für Heizen, Kochen und Warmwasser solle allen Gaskunden zu einem Fixpreis zur Verfügung gestellt werden. Nur zusätzlicher Verbrauch solle demnach mehr kosten. Der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch erinnerte daran, dass Versorger in den letzten Monaten auch von gestiegenen Preisen profitiert haben und keinesfalls pauschal in Not seien.
Die bisher notorisch wirtschaftsfreundliche Unionsfraktion kritisiert die Umlage als unsozial und will schon in der nächsten Bundestagswoche beantragen, die Gasumlage zu kippen. Dies könne der Bundestag nach dem Energiesicherungsgesetz beschließen, sagte Czaja, der weiter mäkelte:
"Wir halten die Gasumlage für handwerklich extrem schlecht gemacht, sie ist zudem unsozial, und sie erreicht nicht die richtigen Unternehmen, die man damit entlasten will." Zwar stimme die CDU zu, dass der Uniper-Konzern gestützt werden müsse. "Aber nun sollen 3,5 Milliarden Euro aus der Gasumlage an Unternehmen gehen, die im ersten Halbjahr fast durchgängig hohe Gewinne gemacht haben."
Zudem fielen Be- und Entlastungen nicht zusammen. Die Belastung komme zum 1. Oktober dieses Jahres. Wann die Entlastung etwa beim Wohngeld oder bei der "kalten Progression" komme, sei dagegen offen. Der nach unzähligen Skandalen ins Abseits geratene Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) erhob sich bei dieser Gelegenheit ebenfalls zur neuen sozialen Stimme der Republik und kritisierte im Spiegel die "Umverteilung von unten nach oben" durch die "Chaos-Umlage".
Der CDU-Politiker Heilmann nannte die Umlage "verfassungswidrig und europarechtswidrig". Es werde dagegen zahlreiche Klagen geben. Auch ordnungs- und sozialpolitisch sei das Verfahren falsch. "Die Gasumlage subventioniert de facto auch solche Geschäfte, die hoch profitabel sind." Das Herabsetzen der Mehrwertsteuer führe zu einer "ungerechten Verteilungswirkung".
Zwar müsse es eine Entlastung der Bürger geben, sagte Heilmann. Besser wäre aber zum Beispiel ein direktes Energiegeld. Die Stützung der Unternehmen sollte nach dem Lufthansa-Modell erfolgen. Der Staat hatte der Fluggesellschaft in der Corona-Krise mit stillen Einlagen, einem staatlich abgesicherten Kredit und einer direkten Beteiligung geholfen.
Am Mittwoch kündigte SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch an: "Die SPD-Fraktion wird darauf drängen, dass nur Anträge auf finanzielle Entlastung von den Unternehmen erfolgreich sein können, die durch die aktuelle Preisentwicklung in ihrer Existenz bedroht sind."
Nicht umsonst habe der Bundestag im Energiesicherungsgesetz ein zweimonatiges Interventionsrecht des Parlaments verankert. "Zugleich ergeben sich Fragen, inwieweit wir alternative Wege der Entlastung für diese Unternehmen gehen können – jenseits einer Umlage, wie durch den Einsatz von Steuergeldern." Diesen Weg über Steuergelder wollte das Finanzministerium aber bisher auch unter Verweis auf knapper werdende Haushaltsmittel nicht gehen.
Selbst die Grüne Jugend kritisierte die Politik der Bundesregierung und damit des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck. Es gelte, das "Wohl der Menschen und nicht das Recht auf Gewinne in den Mittelpunkt" zu stellen, so Sprecherin Sarah-Lee Heinrich, die in der Vergangenheit nicht immer mit sehr menschenfreundlichen Aussagen aufgefallen war.
Auch die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang gestand am Donnerstag ein: "Natürlich stört es auch mein Gerechtigkeitsempfinden, wenn Unternehmen, die an anderen Stellen große Gewinne machen, jetzt ihre Kosten frühzeitig auf die Verbraucher umlagern wollen."
Zugleich aber sei es rechtlich schwierig, die Datenlage nur auf einzelne Unternehmen, die systemrelevant oder insolvenzbedroht seien, zu beschränken. Daher brauche es nun politische Lösungen, sagte Lang – und bekräftigte ihre Forderung nach einer Übergewinnsteuer für Energiekonzerne. Dagegen wiederum sträubt sich der Koalitionspartner FDP.
Deren energiepolitischer Sprecher kündigte am Donnerstag an: "Als Freie Demokaten setzen wir uns dafür ein, dass mit der Gas-Umlage ausschließlich Unternehmen unterstützt werden, die sich in einer marktgefährdenden Schieflage befinden", ohne dies näher zu erklären, womöglich weil das andere regeln sollen. Wie FDP-Kollege und Justizminister Marco Buschmann dem Portal The Pioneer sagte, geht er davon aus, dass der Energieminister sich etwas überlegt, wie er mit dem potenziellen Problem der Mitnahmeeffekte umgeht.
RWE und Shell hatten bisher erklärt, Verluste selber tragen zu wollen. Wirtschaftsminister Habeck forderte weitere nicht bedürftige Unternehmen auf, dem Beispiel zu folgen. Ein Sprecher des österreichischen Energiekonzerns OMV sagte am Donnerstag, die deutsche Tochter habe Ausgleichsansprüche als Gasimporteur im Sinne des Gesetzes bekannt gegeben. "Ob und in welcher Höhe Ansprüche bestehen und ob diese in Anspruch genommen werden, hängt von weiteren Prüfungen und Entscheidungen ab."
OMV hat im ersten Halbjahr Milliardengewinne gemacht. Einen Überschuss erzielten auch der Schweizer Energiehändler Axpo und der deutsche Energiekonzern EnBW, dessen Ableger den Kunden bereits ab Oktober die Umlage mitberechnet und einen finanziellen Ausgleich durch die Umlage will.
Eine Sprecherin des EnBW-Ablegers VNG erklärte, ausfallende russische Mengen müssten am Markt zu massiv gestiegenen Preisen nachgekauft werden, um die Kunden zu ihren ursprünglich vereinbarten Konditionen weiter zu beliefern. Dies habe erhebliche Verluste bei der VNG erzeugt. Das Umlagesystem ermögliche für die VNG keine Gewinne, sondern mindere Verluste, so die Erklärung.
FDP-Politiker Kruse jedenfalls kritisierte die Union für deren "energiepolitischen Blindflug": "Dass die Union die Gas-Umlage im Bundestag stoppen möchte, zeigt, dass sie ihren energiepolitischen Blindflug der letzten Jahre fortsetzt und nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, die uns erst in die aktuelle Lage gebracht haben", sagte Kruse. "Ohne die Umlage wäre die gesamte Gasversorgung in Deutschland gefährdet, viele regionale Gasversorger stünden ohne die Umlage vor kaum überwindbaren finanziellen Schwierigkeiten und Versorgungsengpässen."
Es sei ein Mammutprojekt, Deutschland sehr kurzfristig aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien, so Kruse. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Union diesen Weg offenbar nicht konstruktiv mitgehen möchte und damit erhebliche Risiken für Bürger und Unternehmen billigend in Kauf nimmt."
Auch die Linke betonte, sie wolle die Umlage im Bundestag stoppen. "Ich begrüße es, wenn die Union sich dem anschließen will", sagte Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch. "Wenn auch die Grüne Jugend gegen die Gasumlage auf die Straße gehen will, könnte die Ampel-Mehrheit im Bundestag wackeln. Die Gasumlage ist eine krasse Fehlkonstruktion, die so zurückgenommen werden muss." Der Weg über das Parlament erfordert eine Mehrheit.
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