Bundesagrarminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich mit Blick auf die zunehmend ausufernden "Bauernproteste" in den Niederlanden und der infolge des Ukraine-Krieges drohenden Getreidekrise für eine vorübergehende Aussetzung der in der EU geplanten Stilllegungen von Agrarflächen ausgesprochen. "Ich bin da bereit, ich strecke meine Hand aus, lassen Sie uns zusammenarbeiten", erklärte der Grünen-Politiker am Sonntag bei einer Podiumsdiskussion in München.
Hintergrund ist ein Strategieplan der EU-Kommission zur Erhaltung der Tier- und Pflanzenwelt. Dieser sieht unter anderem vor, dass Landwirte ab 2023 vier Prozent ihrer Ackerfläche stilllegen müssen. Bei Nichteinhaltung droht der Verlust der von den meisten Betrieben dringend benötigten EU-Direktzahlungen im Rahmen der sogenannten Einkommensgrundstützung.
Neben Özdemir hatte zuvor auch schon Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) angesichts der drohenden Brachlegungen davor gewarnt, dass Europa seine Rohstoffsicherheit verlieren könnte. "Wir haben beim Thema Energie erlebt, wie schlimm es ist, erpressbar zu sein", sagte Kaniber in Bezug auf einen befürchteten Stopp der russischen Gaslieferungen. Europa brauche in allen Bereichen Rohstoffsicherheit, auch in der Forst- und Landwirtschaft. Dennoch stelle sie die Umwelt-Ziele der EU nicht infrage. "Wir stehen zum Green Deal", so die Ministerin. Dieser sieht zudem ein Importverbot von Tierfutter aus Ländern vor, in denen für die Produktion dieses Wald abgeholzt wird.
Aus Kreisen des Bundeslandwirtschaftsministeriums hieß es, dass auch Özdemir an der ursprünglichen Vereinbarung festhalten wolle, aber gesprächsbereit sei, falls auf EU-Ebene eine Aussetzung der Stilllegungen angestrebt werde. Dennoch wolle er sowohl die Landwirte als auch ihre Funktionäre dafür sensibilisieren, dass die hiesige Landwirtschaft nicht zur Abholzung in anderen Teilen der Welt führen solle: "Da reden wir dann mal darüber, dass Soja in Brasilien angebaut wird, das hier dann verfüttert wird", sagte der Agrarminister. "Da tragen wir dazu bei, dass wertvoller Wald verloren geht."
Mit seiner Äußerung bezog sich Özdemir auf die zunehmende Ausweitung des Anbaus von Soja als Futter für Rinder und andere Nutztiere, die in tropischen und subtropischen Ländern zu Abholzungen von Wäldern zugunsten der Landwirtschaft führen. "Lassen Sie uns dann auch die Dinge in Angriff nehmen, die wirklich was bringen, und lernen aus den Fehlern der Vergangenheit", sagte der Grünen-Politiker.
Bei den deutschen Landwirten sorgen die drohenden Stilllegungen von Ackerflächen und andere Vorschriften im Rahmen des sogenannten "Green Deal" derweil für großen Unmut. "Das ist angesichts der kommenden vorhersehbaren Hungerkrise in vielen armen Ländern der Welt ein nicht erklärbarer Wahnsinn", sagte Landwirt Dr. Willi Kremer-Schillings gegenüber agrarheute. Dem Landwirt zufolge würde die beschlossene EU-weite Flächenstilllegung lediglich bedeuten, dass die Ackerflächen etwa von Österreich, den Niederlanden, Belgien, Portugal und Luxemburg zusammen dann nicht mehr genutzt werden dürfen. "Das sind zusammen rund 4,22 Millionen Hektar oder sechs Millionen Fußballfelder", so Kremer-Schillings.
Auf dieser Fläche könnten demnach rund 25,7 Millionen Tonnen Weizen erzeugt werden. Das decke bereits den Getreide-Importbedarf von Ägypten, Marokko, Tunesien, Algerien sowie Äthiopien, erklärte er weiter. Angesichts der weltweit drohenden Hungersnot kündigte der Landwirt zudem an, dass er sich nicht an die Stilllegungspflicht der EU halten werde. "Wir werden gegen das Gesetz auf all unseren Ackerflächen somit illegal Lebensmittel anbauen. So lange, bis sich die Ernährungssituation wieder normalisiert hat", erklärte Kremer-Schillings:
"Wir Landwirte nehmen unsere Verantwortung wahr, die aufziehende Hungersnot, die vor allem die Ärmsten betrifft, so weit wie möglich abzumildern. Verhindern werden wir es wohl nicht können. Wir werden für jeden Hektar, den wir vorsätzlich und ungesetzlich für Lebensmittel und Nahrung bearbeiten, den Betrag der zukünftigen EU-Einkommensgrundstützung von 150 Euro ans UN World Food Programme spenden."
Die ausufernde EU-Agar- und Umweltpolitik bedroht zunehmend die Existenz der Landwirte. Unter dem Vorwand des Umweltschutzes werden den Bauern nicht mehr einzuhaltende Vorschriften auferlegt, die nicht nur dazu führen, dass die Erzeugung von Lebensmitteln unwirtschaftlich wird, sondern teils auch gar nicht mehr möglich ist. Von der EU forcierte Änderungen in der Stickstoffpolitik brachten das Fass für viele Landwirte jetzt endgültig zum Überlaufen. In den Niederlanden protestieren die Bauern daher seit Wochen gegen geplante Maßnahmen, den Stickstoffausstoß zu verringern.
Dieser soll nach dem Plan der Regierung bis 2030 um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden, bei Naturgebieten sogar um mehr als 70 Prozent. Die Auflagen können nach Berechnungen der Regierung das Aus für etwa 30 Prozent der Tierzüchter bedeuten. Auch den deutschen Landwirten geben die Stickstoffpläne der Niederlande einen Vorgeschmack darauf, was ihnen künftig zusätzlich an existenzbedrohenden Vorschriften und Auflagen droht. Denn die Regierung des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte bezieht sich bei ihrer forschen Stickstoffpolitik lediglich auf Vorschriften der EU, die von Mitgliedsstaaten umgesetzt werden sollen.
So führen die überbordenden Vorschriften nicht nur immer häufiger zu Verzweiflung bei den Landwirten, sondern auch zu einem wachsenden Widerstand innerhalb der Berufsgruppe. Zunehmend rufen die deutschen Bauernverbände deshalb dazu auf, die Protestaktion ihrer niederländischen Kollegen zu unterstützen. Unter anderem warnten die Vorstandsmitglieder von Land schafft Verbindung (LSV) Bayern, Rainer Seidl und Claus Hochrein, in einer Pressemitteilung, dass die EU-Auflagen "früher oder später" auch in Deutschland zu einer vergleichbaren Lage führen wie der, in der sich derzeit die Landwirte in den Niederlanden befinden.
"Angesichts dieser Aussichten müssten eigentlich nicht nur abertausende Schlepper hupend in Berlin und Brüssel stehen, sondern auch hunderttausende Bürgerinnen und Bürger, um für ihre sichere Ernährung zu kämpfen."
Auch in Deutschland sei es demnach bereits zu mehreren Solidaritätsaktionen für die protestierenden Landwirte in den Niederlanden gekommen. "Wir wollen damit auch ein Wecksignal an die Bevölkerung und an die Politik senden", sagte Andreas Bertele, Pressesprecher von LSV Oberbayern, dem Bayerischen Landwirtschaftlichen Wochenblatt. Es könne so nicht mehr weitergehen. "Wenn wir die Ernährungssicherheit im Land sichern wollen, muss die Landwirtschaft erhalten werden."
Protestaktionen gab es auch in Niedersachsen, Nordrhein Westfalen, Sachsen-Anhalt sowie in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Landwirte stellten sich mit ihren Schleppern auf Autobahn-Brücken und rollten Transparente aus. Ähnlich wie in Bayern warnten die jeweiligen Bauernverbände davor, dass das, was holländische Berufskollegen heute erlebten, demnächst auch in Deutschland bevorstünde.
Das zarte Zurückrudern des Bundesagrarministers bei den von der EU geplanten Stilllegungen von Agrarflächen ist deshalb vermutlich eher auf die zunehmend ausufernden Bauernproteste in den Niederlanden zurückzuführen. Denn ähnliche Demonstrationen und Blockaden bahnen sich allmählich auch in Deutschland an. Grund hierfür sind mitunter die horrenden Strafen, die den Landwirten bei Nichteinhaltung der neuen EU-Vorschriften drohen. Ein Ende der Bauernproteste ist vorerst also nicht in Sicht.
Vielmehr könnte es nach Ansicht von Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, auch hierzulande zu einer Ausweitung der derzeit noch überschaubaren Protestaktionen bis hin zu Blockaden kommen:
"Bei Enteignungen und Zwangsstilllegungen würde es auch hier massive Proteste geben. Der wirtschaftliche Druck auf die Landwirte ist ohnehin enorm und wird durch weitere gesetzgeberische Einschränkungen weiter erhöht."
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