von Bernhard Loyen
Im Dezember 2020 vermeldeten die Medien, dass der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) "plötzlich beliebtester Politiker Deutschlands" geworden sei. So schreibt die Springer-Zeitung Welt: "In einer Umfrage zur Beliebtheit von Politikern zieht Jens Spahn an Angela Merkel vorbei. 52 Prozent der Befragten hoffen auf eine 'möglichst große Wirkung' seiner Politik im nächsten Jahr."
Still es mittlerweile um Spahn geworden. Mit Zufall begegnet er einem leibhaftig und persönlich im Regierungsbezirk Mitte, mitten im Großstadttrubel, ohne Security-Begleitung. Ist er so unbedeutend geworden? Für die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft zumindest nicht. So weiß die Süddeutsche Zeitung (SZ) zu berichten (Artikel hinter Bezahlschranke), dass sich "bei einem der teuersten Verträge des Bundesgesundheitsministeriums im Kampf gegen Corona Ungereimtheiten häufen" würden. Verantwortlicher Strippenzieher im Hintergrund war der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt nun aktuell nach ausgiebigen Ermittlungen wegen Schmiergeldverdachts, nicht jedoch gegen Ex-Minister Spahn, dieser sei "aber politisch verantwortlich". So heißt es zur Thematik erläuternd im SZ-Artikel:
"Für 540 Millionen Euro hat das damals noch von dem CDU-Politiker geleitete Bundesgesundheitsministerium am 24. April 2020 einen Vertrag mit der Schweizer Handelsfirma Emix über den Kauf von 100 Millionen Corona-Schutzmasken des Standards FFP2 abgeschlossen. Dabei hätte es des teuren Maskendeals mit Emix nach Spahns eigenen Worten wenige Tage vorher eigentlich gar nicht mehr bedurft."
Den Bürgern in diesem Land wird in den zurückliegenden zwei Jahren regelmäßig vonseiten der Politik beeindruckend vermittelt: Am Geld soll es nicht scheitern. 200 Milliarden Euro bis 2026 für den Klimaschutz, 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, 1,084 Milliarden Euro für den Bau eines Flughafens, 600 Millionen für den Erweiterungsbau des Kanzleramts. Es geht aber auch weniger spektakulär, so in Nordhessen, wo für einen 180 Meter langen Radweg "mindestens 850.000 Euro" veranschlagt werden müssen.
Zurück zu dem Maskendeal der Corona-Krise. Der Artikel zu den Ereignissen im Frühjahr 2020 – am 22. April, zwei Tage vor der Bestellung bei der Schweizer Handelsfirma Emix, ließ Spahn die anwesenden Abgeordneten bei einer Sitzung des Gesundheitsausschusses des Bundestages wissen, dass die Bürger zum Thema Maskenbestände durch "das Gesundheitswesen in Deutschland in den nächsten Monaten gut versorgt" seien. Diese Situation ergebe sich durch "die erwartete Lieferung von 100 Millionen FFP2-Masken zum Preis von 4,50 Euro".
Am 24. April erfolgt dann der Megadeal. Eine beeindruckende Großbestellung, aufgeteilt in insgesamt vier Einzelgeschäfte, unter anderem über weitere 100 Millionen Masken, die auch noch dazu teurer waren. Wie aus einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages im März 2021 hervorgeht, hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in nur sechs Wochen ab Mitte April in den Aufträgen Masken und Ausrüstung im Wert von 967 Millionen Euro bei Emix bestellt. So heißt es im März 2021 beim Spiegel:
"Die Firma (Emix), die mit Maskenpreisen von bis zu 9,90 Euro in die Kritik geraten war, hat dem Bund demnach unter anderem 150 Millionen FFP2- und chinesische KN95-Masken für im Schnitt 5,58 Euro netto und 210 Millionen OP-Masken für je 60 Cent netto verkauft. Das Ministerium spricht hier von 'marktüblichen Preisen'."
Spahn hatte den Megadeal jedoch nur "abgesegnet", in die Wege geleitet. Gesamtverantwortlich für die Rahmenbedingungen "sind Andrea Tandler, Tochter des einstigen CSU-Generalsekretärs und Ministers Gerold Tandler, sowie Jascha Rudolphi und Luca Steffen, Inhaber der Schweizer Handelsfirma Emix", und "ein Partner von Tandler" namens Darius N., so der SZ-Artikel. Diese Beteiligten sind durch die erfolgreichen Deals mit dem BMG und verabredete Provisionszahlungen mittlerweile zu Multimillionären geworden. Ebenfalls eine wichtige Rolle in diesem Schmierenstück spielt die CSU-Europaabgeordnete und Tochter des CSU-Urgesteins Franz Josef Strauß, Monika Hohlmeier. Sie gilt für die SZ als die "zentrale Türöffnerin", um für "ihre Freundin Andrea Tandler Kontakte in die Gesundheitsministerien in Bayern und im Bund" zu vermitteln.
So konnte die Tagesschau im Juni 2021 zu dem thematischen Kontakt von Jens Spahn, damals mit karrierebewusster Vorahnung, und Monika Hohlmeier berichten:
"Noch am selben Abend kontaktierte Hohlmeier den 'lieben Jens' und leitete die Nachricht Tandlers weiter. Er erinnerte Hohlmeier in einer SMS-Nachricht daran, dass sich künftig noch Untersuchungsausschüsse mit der ganzen Sache beschäftigen würden. Deshalb wolle er keinen politischen Einfluss nehmen. 'Schützt Dich und mich. Lg Jens', simste Spahn an Hohlmeier."
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft in Berlin kann die erste Irrsinnssumme von knapp 427 Millionen Euro für den Bedarf an Gesundheitsmasken in Arztpraxen, Kliniken, Alten- und Pflegeheimen im Zeitraum März 2020 demnach noch "nachvollziehen". Die Gesamtbetrachtung gibt der Justiz aber trotzdem nachdrücklich zu denken:
"Im März 2020 (...) hatte das Ministerium drei Verträge mit Emix über den Kauf von Corona-Schutzkleidung zum Preis von insgesamt knapp 427 Millionen Euro abgeschlossen. Das leuchtet den Staatsanwaltschaften in Berlin wie in München, hier wird wegen Geldwäscheverdacht ebenfalls ermittelt, ja noch halbwegs ein.
Doch dann kam der 540-Millionen-Deal vom 24. April 2020, als die Lage schon eine ganz andere war."
Aufgrund der damaligen Masken-Einkaufspolitik von Jens Spahn nach dem Motto "Alles ordern, was offeriert wird" wurde es dann unübersichtlich – oder wie der SZ-Artikel formuliert: "Das damals von Spahn und heute von Lauterbach geleitete Gesundheitsministerium weicht aus und kann Widersprüche oder gar Ungereimtheiten nicht erklären." Das Maskenchaos des Frühjahrs 2020 in Zahlen:
"Daraufhin kamen so viele Angebote, dass das Ministerium das Projekt Open House am 8. April 2020 vorzeitig stoppte. Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits feste Lieferzusagen über 1,05 Milliarden FFP2-Masken für insgesamt 4,7 Milliarden Euro vor."
Das Bundesgesundheitsministerium zeigt sich nun – welch Überraschung – eher unkooperativ, die Umstände und Details des damaligen Maskenchaos auf Kosten der Steuerzahler mit aufzuklären. Spahn beschrieb schon zuvor, noch während seiner Amtszeit, die damalige Zeit auf eher unkonventionelle Art. Die Hamburger Country-Band Truck Stop wusste im Jahre 1980: "Der wilde, wilde Westen, der fängt gleich hinter Hamburg an", oder eben Jens Spahn im März 2021:
"Zu Beginn der Pandemie sei es unglaublich schwierig gewesen, überhaupt an Angebote für Schutzausrüstung zu kommen, so Spahn. Er erinnere sich noch, als 50 LKW auf dem Weg nach Amsterdam gewesen seien, um Ware von einem Flieger abzuholen, der nie gelandet sei. 'Das waren ja Wild-West-Zeiten.'"
Der letzte Vertrag mit dem Schweizer Unternehmen auf Basis eines Emix-Angebots vom 17. April 2020 soll laut BMG nach "intensiven Verhandlungen" an jenem 24. April 2020 zustande gekommen sein. Nach Angaben von Insidern soll es laut der SZ aber zu diesem Vertrag im Gesundheitsministerium kaum Unterlagen geben. Das Ministerium teilt dazu auf eine aktuelle SZ-Anfrage nun wohl mit, man gebe "keine Auskunft zu internen Prozessen". Es wurde jedoch beantwortet, so der Artikel:
"Eines zumindest wird bestätigt: Dass Spahn selbst den 540-Millionen-Vertrag mit Emix genehmigt hatte. Nach Informationen von SZ, NDR und WDR hatte Spahn am 21. April 2020 in einer internen Mail diesen Deal mit einem einzigen Wort abgesegnet: 'Einverstanden.' Kürzer geht es kaum."
So bleibt "weiterhin im Dunkeln", ob die Verantwortlichen im BMG "wegen des merkwürdigen 540-Millionen-Deals kalte Füße bekommen und wieder aussteigen wollten" oder "ob jemand im eigenen Hause für den 540-Millionen-Deal geschmiert werden sollte", schreibt die SZ. Die aktuelle Strategie des BMG heißt demgegenüber:
"Das Ministerium gibt keine Auskunft, was da genau geschehen ist. Aus Sicht des Gesundheitsressorts ist bis heute alles in bester Ordnung."
Spahn lässt über seinen Sprecher der SZ ausrichten, er und die Regierung hätten in einer "hoch-dynamischen Situation" Schutzmasken besorgen müssen. "Auf Lieferzusagen allein konnte man sich in der damaligen Lage nicht gewissenhaft verlassen, zu oft wurden diese nicht eingehalten." Klingt ganz danach, dass es für Spahn keine schlaflosen Nächte gibt, also alles regelkonform ablief. Ob das die Berliner Staatsanwaltschaft ähnlich sieht, werden die nächsten Wochen zeigen.
Spahn kündigte nun Anfang Juni an, ein Buch über seine persönlichen Erfahrungen in der Corona-Krise veröffentlichen zu wollen. Die Frage, "was die Pandemie mit dem Land gemacht hat", würde ihn "seit zwei Jahren beschäftigen", so die Gründe zum Projekt. Der Titel des Buches soll ein Zitat des Ex-Ministers aufgreifen: "Wir werden einander viel verzeihen müssen." Dieser Satz fiel im Rahmen einer Bundestagsrede im April 2020. Der Originalsatz lautet: "Bei etwas anderem bin ich ausdrücklich Ihrer Meinung – das will ich auch grundsätzlich zu anderen Debatten, etwa auch gerade zur Maske und anderem, sagen –, dass wir nämlich miteinander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen." Seitens der maßnahmeneinfordernden Politik ist bis zum heutigen Tag dahingehend noch nichts passiert, nicht das kleinste Zeichen an die Bürger gesendet worden.
Eine weitere Erkenntnis Spahns jener Zeit, getätigt in einem Interview mit dem Magazin Focus, lautet:
"Deswegen müssen wir immer wieder klarmachen, dass es in dieser Pandemie keine absoluten Wahrheiten gibt."
Ob das die Berliner Justiz ähnlich bewertet, werden die laufenden Ermittlungen zeigen. Ende September soll das Buch erscheinen. Wir dürfen daher sehr gespannt sein auf Spahns Talkshow-Rundreise durch die ARD und das ZDF, auch bezüglich möglicher neuer Erkenntnisse und Einschätzungen seitens der Berliner Staatsanwaltschaft.
Mehr zum Thema - Das politische Mosaik: Sachverständigenrat, Evaluierungen, Pharmakontakte und Süddeutsche Zeitung