Die Preise für Energie, Lebensmittel und Rohstoffe sind so stark gestiegen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das trifft auch die Baubranche, wo sich Energiekosten und Preissteigerungen bei Stahl, Holz, Ziegeln und anderen Materialien zunehmend bemerkbar machen. Aktuell ist der Materialmangel auf dem Bau so schlimm wie seit mindestens 31 Jahren nicht mehr. Im Hochbau nahm der Anteil der Unternehmen, die bei einer Umfrage des ifo Instituts Mangel meldeten, um 2,4 Punkte auf 56,6 Prozent zu, wie die Münchner Wirtschaftsforscher am Freitag meldeten. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebung 1991. Im Tiefbau sank der Anteil minimal auf 44,8 Prozent – der zweithöchste hier jemals ermittelte Wert.
Besonders knapp ist laut ifo-Forscher Felix Leiss derzeit Baustahl, der oft aus Russland oder der Ukraine importiert wurde. Auch beim Bitumen kommt es zu Problemen. Mancherorts klagten die Betriebe auch über einen Mangel an Ziegelsteinen. Dämmstoffe waren bereits vor Kriegsbeginn vielerorts knapp, aber auch da habe sich die Situation weiter verschlechtert.
Der Mangel macht Bauen teurer: "Die Materialpreise legen infolge der Knappheit und höheren Energiekosten weiter zu", sagte Leiss. Im Hochbau berichtete ein Großteil der Firmen laut ifo, die Preise kürzlich nach oben revidiert zu haben. Zudem seien für die kommenden Monate oft weitere Anpassungen geplant. Auch im Tiefbau kam es vielerorts zu Erhöhungen, wenn auch nicht ganz so oft wie im Hochbau.
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) setzte die Aussichten für 2022 ebenfalls herab. Man erwarte für die realen Umsätze im Bauhauptgewerbe nur noch "eine Entwicklung zwischen null und minus zwei Prozent", sagte Präsident Peter Hübner vom Branchenverband HDB Mitte Mai dem Handelsblatt.
Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des HDB, hatte bereits Ende April vor dem Hintergrund der extrem gestiegenen Erzeugerpreise gewarnt: "Wir rechnen mit einem Rückgang beim Wohnungsneubau, die Gefahr ist also reell, dass ein Dominoeffekt eintritt und die Konjunktur in der Bauwirtschaft stark in Mitleidenschaft gezogen wird."
Maßgeblicher Treiber für weiteres Wachstum der Baubranche seien neben dem Wohnraummangel vor allem energetische Sanierungen für den Klimaschutz, heißt es in einer Studie der Strategieberatung EY-Parthenon, die am Freitag vorgestellt wurde.
"Der seit 2009 laufende Bauboom steht nicht vor dem Ende, aber trübt sich ein", sagte Björn Reineke, Partner bei EY-Parthenon. "Auch für die Folgejahre sind wir positiv gestimmt." So treibe der enorme Bedarf an energetischen Sanierungen von Gebäuden mit Dämmungen, Solardächern und Wärmepumpen die Branche langfristig an. "Das Handwerk ist damit auf Jahre ausgelastet."
Laut der Prognose dürfte das Volumen der erbrachten Bauleistungen bis 2024 preisbereinigt im Schnitt um rund 1,8 Prozent pro Jahr wachsen. Voraussetzung sei, dass der Ukraine-Krieg nicht unerwartet drastisch durchschlage. Eine Rezession in Deutschland könne das Bild ändern. "Derzeit sind die Auftragsbücher prall gefüllt, die Baufirmen stoßen an ihre Grenzen", sagte Reineke. Die Reichweite abzuarbeitender Aufträge liege bei bis zu fünf Monaten.
Lieferengpässe, rasant steigende Preise und der Mangel an Baumaterialien seien mehr eine Folge der Corona-Lockdowns in China als Folgen des Ukraine-Kriegs, meint Reineke. "Die Corona-Pandemie wird sich aber beruhigen und die Lieferkettenprobleme werden abebben."
2021 wuchs der Hochbau in Deutschland laut der Analyse preisbereinigt um 1,1 Prozent gemessen am Vorjahr. Das Wachstum habe sich um einen Prozentpunkt verlangsamt. Eine Stütze blieb der private Wohnungsbau, der stärker als der Wirtschaftsbau und der öffentliche Bau zulegte. Auch Nachholeffekte wegen der COVID-19-Pandemie halfen maßgeblich.
Negative Tendenzen im Neubau zeigten sich etwa bei steigenden Preisen sowie der Verfügbarkeit von Bauland und Fachkräften, stellte EY-Parthenon fest. Die Nachfrage nach Wohnraum sei aber weiter riesig und der Wohnungsbau intakt, sagte Reineke. Der starke Anstieg der Bauzinsen sei inflationsgetrieben und noch kein echter Hemmer am Bau.
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