Im Januar dieses Jahres war bekannt geworden, dass weit über 2.000 Einsprüche gegen die Bundestagswahl durch entsprechende Anträge von Bürgern beim Bundestag eingereicht worden waren. Davon beschäftigten sich "knapp 90 Prozent ganz oder teilweise mit den Vorgängen in Berlin", so aktuelle Informationen auf der Bundestagsseite. Am 24. Mai fand nun der erste zuständige Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung/Ausschuss in Berlin statt.
Der Ausschuss mit mündlicher Verhandlung kam zustande, da Bundeswahlleiter Georg Thiel gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl und zum Berliner Wahlgeschehen am 26. September 2021 Einspruch erhoben hatte.
Auf der Seite des Deutschen Bundestags informiert der Ausschuss zu der "Verhandlung zu Vorkommnissen in sechs Berliner Wahlkreisen":
"Der Einspruch bezieht sich auf die Wahlkreise 75 Berlin-Mitte, 76 Berlin-Pankow, 77 Berlin-Reinickendorf, 79 Berlin-Steglitz-Zehlendorf, 80 Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf und 83 Berlin-Friedrichshain-Kreuzberg - Prenzlauer Berg Ost."
Zu den Beweggründen der Klage des Bundeswahlleiters heißt es:
"Thiel hatte seinen Einspruch damit begründet dass es am Wahlsonntag in einigen Berliner Wahlkreisen aufgrund von fehlenden oder falschen Stimmzetteln zu einer zeitweisen Schließung von Wahlräumen sowie aus anderen organisatorischen Gründen zu Schlangen vor Wahlräumen gekommen sei."
Das Onlinemagazin Tichys Einblick (TE), dem Originaldokumente vom Wahltag vorliegen, berichtet in einem Artikel über die wahren Ausmaße des Wahlchaos in Berlin. Darin heißt es:
"In Friedrichshain-Kreuzberg wählten Tausende mit falschem Stimmzettel – als der Fehler bemerkt wurde, wurden die Stimmen als ungültig gewertet. Bis sie mit dem Rotstift wieder gültig gemacht werden – mehrheitlich für die rot-rot-grüne Koalition."
Genauere Details zu den Unregelmäßigkeiten im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lauten zum Beispiel, dass "jedes dritte Wahllokal demnach nach 18:00 Uhr schloss", und weiter:
"In mindestens 200 Fällen ging die Zahl der Wahlstimmen über die im Wahlregister registrierten und abgestrichenen Wähler hinaus – ein klares Indiz dafür, dass Minderjährige und EU-Ausländer irregulärer Weise auch für Bundestag oder Abgeordnetenhaus gewählt haben."
Thiel bezeichnete diese Umstände am Dienstag bei der Anhörung im Wahlprüfungsausschuss des Bundestages als "komplettes systematisches Versagen der Wahlorganisation". Die Befürchtung des Bundeswahlleiters, die er schon unmittelbar im November 2021 formuliert hatte, lautet erneut:
"Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich ohne diese Vorkommnisse eine andere Sitzverteilung des Bundestages ergeben hätte."
Durch diese Vorkommnisse wurden aus Sicht Thiels wahlrechtliche Vorschriften verletzt, deshalb stellten sie Wahlfehler dar, die unter anderem den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl nach Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes beeinträchtigt hätten, so Informationen des Bundestages. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) erklärt in diesem Zusammenhang den Begriff "Mandatsrelevanz":
"Sind zum Beispiel 1000 Menschen am Wählen gehindert worden und hat der Abstand des siegreichen Kandidaten auf den Zweitplatzierten nur 500 Stimmen betragen, so ist eine solche Panne womöglich für das Ergebnis entscheidend und mandatsrelevant. Bei einem Abstand von 2000 Stimmen wäre das nicht der Fall."
Laut der SZ hat die kommissarische Landeswahlleiterin im Bundestag "erstmals in seiner Geschichte dessen Wahlprüfungsausschuss zu einer mündlichen Verhandlung geladen", um die Vorkommnisse in Berlin aufzuklären. Dazu heißt es auf der Bundestagsseite:
"Der Wahlprüfungsausschuss unter Leitung der Abgeordneten Daniela Ludwig (CSU) hat zu der achtstündigen mündlichen Verhandlung neben dem Bundeswahlleiter auch die stellvertretende Berliner Landeswahlleiterin Ulrike Rockmann, den Kreiswahlleiter des Bundestagswahlkreises 83 Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost, Rolfdieter Bohm, die Berliner Bundestagsabgeordneten, Vertreter der Bundestagsfraktionen und Vertreter des Bundesinnenministeriums eingeladen."
Thiel forderte daher bei der Anhörung erneut die Wiederholung der Wahlen in sechs Berliner Wahlkreisen. Der Ausschuss habe sich vorerst entschieden, so Ludwig, das "gesamte Berliner Wahlgeschehen" aufzuarbeiten. Am Ende entscheidet jedoch der Bundestag über eine mögliche Wahlwiederholung.
Mehr zum Thema - 55,5 Prozent – historisch niedrige Wahlbeteiligung in Nordrhein-Westfalen