Die Ampelkoalition will in ihrem ersten vollen Regierungsjahr 138,94 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Das ergaben die abschließenden Beratungen des Haushaltsausschusses am frühen Freitagmorgen in Berlin. Die Summe weicht nicht von der veranschlagten Kreditaufnahme ab.
Der Bundeshaushalt für 2022 sieht nun Ausgaben von insgesamt rund 495,79 Milliarden Euro vor – fast zwölf Milliarden mehr als geplant. In der nur knapp 15-stündigen "Bereinigungssitzung" beschlossen die Haushälter noch mehrere Änderungen an Lindners Entwurf. Unter dem Strich wurden die Investitionen im Vergleich dazu nun um 705 Millionen Euro erhöht, die Ausgaben insgesamt um 11,9 Milliarden. Die vom Finanzminister vorgeschlagene Neuverschuldung von 138,94 Milliarden Euro wird trotzdem eingehalten, weil man zugleich mit deutlich mehr Einnahmen plant.
"Die parlamentarischen Haushaltsberatungen standen im Zeichen von großen, globalen Krisen", erklärten die Koalitions-Haushälter Dennis Rohde (SPD), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Otto Fricke (FDP) im Anschluss. Das Ergebnis zeige: "Wir investieren in Infrastruktur, schützen das Klima, unterstützen den Mittelstand, fördern Forschung, Innovation und den sozialen Zusammenhalt. Außerdem stärken wir Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik."
Die größte Anpassung hatte Lindner allerdings bereits selbst vorgenommen: Mit einem Ergänzungshaushalt im Volumen von fast 40 Milliarden Euro reagierte er auf den Krieg in der Ukraine und finanzierte neben der Aufnahme von Flüchtlingen auch Hilfen für Unternehmen und Bürger. Vor allem über Steuersenkungen sollen der explosionsartige Anstieg der Energiepreise und die hohe Inflationsrate etwas abgefedert werden.
Auch die Haushälter legten an einigen Stellen noch mal zu, strichen an anderen etwas zusammen. Unter anderem strichen sie SPD-Altkanzler Gerhard Schröder die Mittel für Büro und Mitarbeiter mit der Begründung, er nehme keine Aufgaben im Zusammenhang mit seinem früheren Amt mehr wahr. Schröder fiel wegen seiner anhaltenden Kontakte zu Russland und Präsident Wladimir Putin während des Ukraine-Kriegs in Ungnade, sodass er auf einige seiner Privilegien als Altkanzler verzichten soll – was aber die neuen Schulden kaum ausgleichen wird.
Große Summen fließen in Entlastungen für viele Haushalte zum Beispiel durch einen Heizkostenzuschuss und einen Sofortzuschlag für Familien mit Kindern. Für alle Steuerzahler steigt der Grundfreibetrag, auf den man keine Einkommensteuer zahlt. Außerdem werden für drei Monate die Energiesteuern auf Sprit gesenkt. Alle einkommensteuerpflichtig Beschäftigten bekommen eine Energiepreispauschale von 300 Euro. Auch für die Wirtschaft wurden neue Hilfspakete geschnürt und Abschreibungsregeln verändert.
Auch zahlreiche neue Stellen werden geschaffen. Wie das Handelsblatt schreibt, wächst die Anzahl gegenüber dem Vorjahr um 5.269 womit der Bund in seinem gesamten Zuständigkeitsbereich 294.721 Stellen finanzieren dürfte. Zum ersten Mal seit 2015 sollen aber auch wieder Stellen gestrichen werden, allerdings nur 100. Außerdem wurde eine Milliarde extra für Renten eingeplant. Da sich die Niedrigzins-Ära langsam dem Ende zuneigt, werden 5,3 Milliarden Zinszahlungen auf die neuen Schulden fällig.
Die Union im Bundestag hält hingegen eine Senkung der Neuverschuldung für möglich, beispielsweise seien so viele neue Stellen nicht nötig. Unter anderem könnten Rücklagen jetzt und nicht erst in Zukunft aufgelöst werden. Zudem könnten Ausgaben wie etwa die 2,5 Milliarden Euro für das Neun-Euro-Ticket gespart und beim Personal gekürzt werden.
Auch die AfD kritisierte, dass Rücklagen durch Schulden aufgestockt würden. Unter anderem sei der Etat des Gesundheitsministeriums im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit unnötig hoch. Auch Ausgaben der Außen- und Entwicklungspolitik kritisierte die AfD, wodurch Staaten wie China, Indien, Mexiko und Indonesien, die eigentlich sehr entwickelt seien, weiter finanziell unterstützt würden.
Die Linke kritisierte, dass angesichts der höchsten Preissteigerungen seit 40 Jahren und gleichzeitig hohen Unternehmensgewinnen Inflationsopfer mit Almosen abgespeist würden, während Krisengewinnler größtenteils nicht einmal gerecht besteuert würden. Die haushaltspolitische Sprecherin, Gesine Lötzsch, warnte, dass diese Politik zu "schweren Verwerfungen in unserer Gesellschaft" führen werde. Unter anderem plante der Bund drei Milliarden Euro mehr an Corona-Hilfen für Unternehmen ein.
Zudem würden höhere Steuereinnahmen benötigt, um den Investitionsstau aufzulösen – allein die Kommunen hatten im vergangenen Jahr eine dreistellige Milliardensumme an Investitionsstau. Obwohl das Sondervermögen Bundeswehr noch nicht beschlossen wurde, sei bereits klar, dass "ein großer Teil des Geldes … in den Taschen der Rüstungskonzerne" verschwinde, während Hoffnungen auf mehr Sicherheit enttäuscht würden.
Wenn der Bundestag die geplante Extrasumme in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschließt, könnten zusätzliche Schulden nötig werden. Das Geld soll allerdings abseits des Kernhaushalts in einem Sondervermögen aufgenommen und auch nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Diese Kreditobergrenze wird für das laufende Jahr wegen der Krisen noch einmal ausgesetzt. Im kommenden Jahr will Lindner sie wieder einhalten, was allerdings unter anderem Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) kritisierte und als "gewagte Prognose" bezeichnete.
Der Bundestag will den Haushaltsentwurf in der Woche vom 30. Mai bis 3. Juni verabschieden. Grund für den späten Beschluss ist die Bundestagswahl mit Regierungswechsel im vergangenen Herbst. Die Ministerien arbeiten seit Jahresbeginn mit einer vorläufigen Haushaltsführung.
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