Als einen Sieg für die Wissenschaftsfreiheit lobte der Rektor der Universität Bremen, Professor Bernd Scholz-Reiter, das Urteil des Bremer Verwaltungsgerichts, das einem Eilantrag des Hirnforschers Professor Andreas Kreiter am Freitag stattgegeben hat. Damit kann Kreiter seine umstrittenen Versuche an Affen an der Universität Bremen auch ohne die Genehmigung des Bremer Senats zunächst bis November fortführen.
Seit mehr als zwanzig Jahren führt der Neurowissenschaftler Tierversuche mit den als vergleichsweise sensibel geltenden Makaken am Institut für Hirnforschung der Universität Bremen durch, wogegen sich bereits des Öfteren öffentlicher Protest formiert hat. Da Forschende alle drei Jahre einen Antrag auf Verlängerung ihrer Versuche stellen müssen, hatte Professor Kreiter im Juli 2021 die Genehmigung der Verlängerung seiner Tierversuche um ein weiteres Jahr bei dem Bremer Senat beantragt. Die zuständige Gesundheitssenatorin hat diesen nicht direkt beantwortet, woraufhin Kreiter zusammen mit der Universität Bremen Anfang November 2021 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Bremen einreichte. Dieses bestimmte – ganz entgegen der alten Klage über die sprichwörtlich langsamen Mühlen der Bürokratie – bereits am 24. November mit einer Zwischenentscheidung, dass der Neurowissenschaftler auch ohne Genehmigung vorerst weiter forschen darf.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte nach einem jahrelangen Rechtsstreit um die Tierversuche an Makaken Kreiter und der Universität Bremen bereits im Jahr 2014 Recht gegeben, nachdem die damalige Bremer Gesundheitsbehörde den Forschungsantrag des Neurowissenschaftlers abgelehnt hatte. Das Bremer Gesundheitsressort hatte schon zum Jahr 2009 den Antrag auf Verlängerung der Tierversuche nicht genehmigt, mit der Begründung, dass der Forscher die ethische Vertretbarkeit der Versuche wissenschaftlich nicht begründet und der Senat festgestellt habe, dass die Belastungen der Tiere im Verhältnis zu dem erwarteten Erkenntnisgewinn der Versuche nicht vertretbar seien. Zu diesem Ergebnis war die Behörde mithilfe von Sachverständigen aus mehreren Ländern sowie fachliche Belastungskataloge gekommen.
Sowohl Tierschützer als auch zahlreiche Bürger haben die Versuche an Affen seit langem heftig kritisiert. Laut dem Tierschutzbund sind die Versuche an der Bremer Universität, bei denen "seit 1998 elektrische Signale mittels ins Hirn eingeführter Elektroden an wachen Affen" gemessen werden, von geringem bis gar keinem Nutzen für die menschliche Gesundheit. Trotz der jahrelangen Tierversuche seien bisher keine Therapien von Krankheiten daraus hervorgegangen, obwohl die Universität ebendiesen Nutzen zur "Heilung kranker Menschen" nach außen betont. Zudem seien die meisten Versuche an den Tieren entgegen der Aussagen der Bremer Universität gar nicht notwendig. "Bei der seit neuestem seitens der Universität als Argument genannten Epilepsieforschung soll es im Übrigen nur um die drahtlose Übermittlung von Messwerten gehen und nicht um eine Heilung der Epilepsie. Dies kann man bereits heute anders als in Affenversuchen erforschen."
Auch der Verein Ärzte gegen Tierversuche (ÄgT) kritisiert diese Versuche des "Affenhirnforschers" seit vielen Jahren als "besonders qualvoll und nutzlos für kranke Menschen". Der Verein unterhält zudem eine Datenbank über Tierversuche, da es dazu keine öffentlich zugänglichen Informationen gibt, obwohl der Großteil aus Steuergeldern finanziert wird. Aus Beispielen darin beschriebener Versuchsanordnungen geht hervor, dass die Tiere nicht ganz so artgerecht behandelt werden, wie es in den Broschüren der Universität klingt. Auch erscheint darin der Nutzen fragwürdig.
Zum Ziel wird beispielsweise die verbesserte Aufzeichnung von Nervensignalen im Gehirn, die für Gehirn-Computerinterfaces und Neuroprothesen relevant ist. Diese Methode wurde demnach bereits Anfang der 1990er Jahre entwickelt. Den fünf dazu genutzten Rhesusaffen werden unter Narkose Schrauben in den Schädelknochen, eine Vorrichtung als Kopfhalter sowie eine Elektrodenkammer implantiert und dort mit Knochenzement fixiert. Die Elektrodenkammer wird über ein Bohrloch im Schädelknochen über einer bestimmten Hirnregion montiert, von der aus mehrere Elektroden in das Gehirngewebe eingeführt werden, die Signale aufnehmen können.
Währenddessen werden die Affen laut der Beschreibung in einem sogenannten Primatenstuhl fixiert, in dem ihr Kopf mithilfe des Haltebolzens über die gesamte Zeit eines Versuchs bewegungsunfähig gehalten wird. Der Tierschutzbund erläutert zudem, dass die Tiere nicht nur die heftigen Schmerzen durch die Eingriffe am Schädel ertragen müssen. Man lasse sie außerdem dursten und gebe ihnen nur dann tropfenweise Flüssigkeit, wenn sie ihre Aufgaben richtig lösen. Die Affen verbringen täglich bis zu sechs Stunden fixiert in engen Kästen. Zusammen mit der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) hatten die Ärzte gegen Tierversuche im vergangenen Jahr mit einer Plakataktion gegen die Versuche protestiert.
Bei einer Postkarten-Aktion konnte der Tierschutzbund Tausende Unterschriften sammeln. Nicht nur die Bremer Gesundheitssenatorin, auch andere Stimmen in der rot-rot-grünen Regierungskoalition sprachen sich gegen die erneute Verlängerung aus. In München und in Berlin hatten die Behörden vergleichbare Hirnversuche an Affen abgelehnt, da das Leid der Tiere zu groß und der medizinische Nutzen nicht gegeben sei. Die in Berlin zuständige Genehmigungsbehörde erklärte in ihrem Ablehnungsbescheid: "Um einem lebensbedrohlichen Leiden (Durst) zu entrinnen, fügt sich das Tier in ein anderes erhebliches Leiden (Kopffixierung im Primatenstuhl)." Tierärzte und Vereine wie die DJGT verweisen seit langem darauf, dass die Entwicklung von tierfreien Forschungsmethoden bereits sehr weit ist, dabei aber äußerst gering geschätzt wird, da rund 99 Prozent der Fördergelder in Tierversuche fließen.
Das Bremer Gericht folgte in seinem aktuellen Urteil jedoch der rechtlichen Argumentation des Professors und der Universität Bremen, wonach diese alle erforderlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Versuche erfüllen und sogar im Gegensatz zu dem Bremer Senat wissenschaftlich begründet hätten, dass keine wissenschaftlich anerkannten Alternativmethoden für derartige Versuche zur Verfügung stünden. Das Gericht geht sogar noch weiter und behauptet, die Bremer Gesundheitssenatorin habe "die Entscheidung über den Verlängerungsantrag des Antragstellers bewusst rechtswidrig verzögert".
Vorerst kann der Hirnforscher die Versuche nun, wie geplant, bis zum 30. November fortsetzen, falls die Gesundheitsbehörde keine Beschwerde gegen die Entscheidung einlegt. Innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht erhoben werden. Nach Angaben eines Sprechers will die Gesundheitssenatorin die Entscheidung des Gerichts nun prüfen: "Anschließend werden wir uns zu den Inhalten und dem weiteren Umgang äußern können."
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