Von Bernd Müller
In der COVID-19-Pandemie bekamen sie Applaus: die Pflegekräfte. Doch nun zeigt sich, dass das nicht reicht, um sie im Beruf zu halten. In der Altenpflege sind nun offenbar viele bereit, Konsequenzen zu ziehen. Einer aktuellen Studie zufolge spielen 40 Prozent von ihnen mit dem Gedanken, den Beruf aufzugeben.
Die Studie wurde am Donnerstag vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) gemeinsam mit dem Altenpflege-Fachverlag Vincentz Network vorgestellt. Die Ergebnisse seien alarmierend, kommentierte DBfK-Geschäftsführerin Bernadette Klapper die Studie. "Wir brauchen eine Trendwende in der Altenpflege", sagte sie. Für die Studie waren im August und September 2021 insgesamt 686 Beschäftigte von Altenheimen befragt worden.
Es gibt viele Gründe für die Altenpfleger, sich eine andere Beschäftigung zu suchen: schlechte Bezahlung, eine hohe Arbeitsbelastung und zu wenig Zeit für alte Menschen. In der COVID-19-Pandemie hat sich die Situation nach Ansicht der Befragten noch weiter verschärft. 73 Prozent von ihnen meinte, der Personalmangel habe sich in den vergangenen zwei Jahren verschärft. 68 Prozent meinten, es werde immer schwerer, eine gute Pflege zu gewährleisten. Das hänge auch damit zusammen, dass zu wenig Zeit für die Heimbewohner bleibe, das gaben 67 Prozent zu Protokoll. Und 56 Prozent sorgten sich über die überbordende Bürokratie.
Der angestaute Frust und die Sorgen bleiben nicht bei der Arbeit, sondern beschäftigt die Altenpfleger noch, wenn sie längst zu Hause sind. Mehr als jeder zweite Befragte gab an, negative Auswirkungen auf das Privatleben zu verspüren. Und nach zwei Jahren der Pandemie glaubt kaum noch einer von ihnen, dass die Politik überhaupt ihre Lage verstanden hat. Dass sich 96 Prozent der Befragten so äußerte, dürfte eindeutig sein. Und sie brachten zum Ausdruck, dass sie nicht glauben, die Politik bemühe sich, etwas an der Situation zu ändern.
Zwei von drei Befragten gaben an, sich beruflich verändern zu wollen, sei es durch eine höhere Qualifikation in der Pflege (41 Prozent), durch ein Studium (14 Prozent) oder durch den Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber (22 Prozent). Neun von zehn zeigten in ihrer Antwort das Dilemma der Branche: Ohne mehr Personal einzustellen, werde es nicht gelingen, das vorhandene zu halten – und Interessenten würden vom Pflegeberuf abgeschreckt.
Hermann Brandenburg, Professor für gerontologische Pflege an der Hochschule Vallendar, betonte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa), das Problem liege nicht nur bei der Höhe des Gehalts. Die Pflegekräfte litten auch unter dem Zwiespalt zwischen dem, was sie unter guter Pflege verstünden, und der Tatsache, dass sie fremdbestimmt seien. Problematisch seien in diesem Zusammenhang private Betreiber von Altenheimen; denn bei ihnen gebe es oft Qualitätsprobleme. Der private Sektor müsse deshalb zurückgefahren werden. Und Brandenburg betonte, es sei zudem ein "Armutszeugnis", Personal im Ausland rekrutieren zu wollen.
Auch Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärte der dpa, dass mehr als zwei Drittel der Altenpfleger nicht glaubten, gute Pflege gewährleisten zu können. "Leidtragende dieser Misere sind 820.000 Pflegeheimbewohner und über eine Million Menschen, die zu Hause zusätzlich von einem ambulanten Dienst versorgen werden", betonte Brysch, und er forderte ein zukunftsfähiges und attraktives Konzept, um Menschen in dem Beruf zu halten.
Leidtragend sind die Pflegebedürftigen auch deshalb, weil sie und ihre Angehörigen sich kaum über die Qualität von Einrichtungen informieren können. Nur in sechs Bundesländern sind wichtige Informationen zu Einrichtungen einsehbar. Das geht auch einem Bericht des Projekts Weisse Liste hervor, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Kritisiert wird unter anderem, dass einige Bundesländer die Daten zur Qualität der Pflege nicht veröffentlichen, obwohl es die eigenen Landesgesetze vorschrieben.
Das trifft auf zehn von 16 Bundesländern zu. Dort erfahren Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht, ob in einem Heim Personal fehlt oder schwerwiegende Mängel beanstandet wurden. Sie erfahren aber auch nicht, welche Einrichtungen gut aufgestellt sind. Diese Informationen lägen den Bundesländern aber vor, moniert die Bertelsmann-Stiftung, die das Projekt Weisse Liste mit ins Leben rief. Die Daten seien Teil der Prüfergebnisse der für die Heimaufsicht zuständigen Behörden.
Das Problem sei, dass manche Landesgesetze keine Regelung dafür enthalten, dass die erhobenen Daten auch veröffentlicht werden sollen. Das sei in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, im Saarland, in Sachsen und Thüringen der Fall. In anderen Bundesländern gebe es zwar diese Regelungen – doch sie würden nicht umgesetzt. So erlauben es in Bayern, Brandenburg, Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein die Gesetze, die Daten zu veröffentlichen, doch aus verschiedenen Gründen werde das nicht umgesetzt.
Damit bleibt kaum zu erkennen, wo die Pflegekräfte gute Arbeit leisten und wo die Heimbetreiber nur auf schnellen Profit aus sind. Mehr Anerkennung für die Pflegeberufe kann auf diese Weise jedenfalls nicht entstehen.
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