Immer wieder rückten Untersuchungen in den vergangenen Monaten die Folgen der erhobenen Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 für die psychische Gesundheit hervor. So zuletzt etwa eine Studie der Essener Uniklinik, an der sich 27 Kinderintensivstationen beteiligten. Während des Lockdowns im Frühjahr 2021 versuchten von Mitte März bis Ende Mai 2021 demzufolge 93 Kinder und Jugendliche, sich das Leben zu nehmen. Dies entspreche dreimal so vielen Suizidversuchen wie im Jahr zuvor.
Hochgerechnet auf die laut Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) auf Kinderintensivstationen vorhandene Gesamtzahl an Betten ergaben sich 450 bis 500 Suizidversuche für den entsprechenden Zeitraum. Die Studie hat noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen.
Mit den allgemeinen psychologischen Folgeerscheinungen der Corona-Maßnahmen insbesondere bei Kindern konfrontiert, erwiderte Gesundheitsminister Karl Lauterbach in dem ARD-Polittalk "Hart aber Fair", dass sich ein solcher Zusammenhang durch "Studien" nicht nachweisen lasse. Zudem habe es in Staaten, in denen "viel weniger gemacht worden" sei als in Deutschland, "die gleichen Probleme" gegeben. Für ihn seien die Ursachen für die "großen Belastungen bei den Kindern" und auch den "psychischen Störungen" in der "furchtbaren Pandemie" zu finden.
"Ich glaube, dass ein großer Teil dieser Probleme einfach an der furchtbaren Pandemie liegt, aber dass das nicht einfach dem Lockdown, den wir praktiziert haben, der damals notwendig war, in die Schuhe geschoben werden darf."
Wie nun die Welt berichtete, erntete Lauterbach – aus den Reihen der Opposition – für seine Aussagen scharfe Kritik. So etwa vom gesundheitspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, dem CDU-Politiker Tino Sorge. "Das Leid der Kinder kleinzureden", sei "respektlos und weltfremd", befand Sorge über die Aussagen Lauterbachs.
"Suizidversuche sind nur die traurige Spitze des Eisberges. Zahllose Kinder sind durch den Ausnahmezustand der letzten zwei Jahre psychischen Belastungen ausgesetzt – oft unbemerkt."
Der Magdeburger Abgeordnete warf dem Minister eine Relativierung der Problematik vor und forderte ihn dazu auf, sich eingehender mit dem Thema "Kinder- und Jugendgesundheit" zu befassen.
Bereits Mitte Dezember hatte Sorge den Gesundheitsminister scharf kritisiert und diesem vorgeworfen, angesichts eines mutmaßlichen Impfstoffmangels keine "belastbaren Zahlen" vorgelegt zu haben.
Was die jüngsten Aussagen Lauterbachs anbelangt, ist auch für die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Susanne Ferschl, offensichtlich, dass die Kinder und Jugendlichen "natürlich (...) erheblich unter dieser Situation" leiden.
"Die beständige Unsicherheit, ob die Schule nächste Woche geöffnet hat, ob man Sport oder Theater machen darf oder einfach nur Freunde treffen, macht krank und trifft junge Menschen besonders hart."
Ferschl forderte, "die Belange von Kindern und Jugendlichen unbedingt stärker in den Mittelpunkt der Pandemiebekämpfung" zu rücken. "Dazu gehört, dass ein Gesundheitsminister die Realität anerkennt, anstatt sie wegzudiskutieren."
Vor wenigen Tagen kritisierte Ferschl bereits Lauterbachs Pläne, den Pflegebonus nur einem begrenzten Kreis zukommen zu lassen. Der Bonus müsse allen Pflegekräften ausgezahlt werden, fordert Ferschl. "Diese unsägliche Differenzierung" habe "schon bei der Auszahlung des letzten Bonus zu viel Frust und Verärgerung geführt".
Was die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen und die entsprechenden Aussagen des Gesundheitsministers angeht, gab es auch Kritik aus den Reihen der AfD. So etwa vom Sprecher der AfD-Fraktion Martin Reichardt. "Politiker wie Lauterbach haben seit Beginn der Pandemie Kinder mit einer Angst-Rhetorik überzogen, sie zur Gefahr für ihre Großeltern propagiert", war Reichardt überzeugt.
"Jetzt zu behaupten, auch ohne diese Maßnahmen wären Kinder vermehrt selbstmordgefährdet, zeugt von einem hohen Maß an Realitätsverleugnung."
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