60-Stunden-Arbeitswoche? – Niedersachsen dereguliert Arbeitsrecht "wegen Omikron"

In Niedersachsen hat der Corona-Krisenstab die aktuelle pandemische Lage bewertet. Weil die Maßnahmen gegen die Omikron-Variante dazu führen würden, dass vermehrt Personal ausfallen dürfte, werden Arbeitszeitregelungen "befristet" verändert, heißt es.

Inzwischen würden, so das niedersächsische Landesgesundheitsamt, über 85 Prozent aller Infektionen auf die Omikron-Variante des Coronavirus zurückgehen. Daher erwarte man für Niedersachsen eine schwierige Personalsituation, besonders in der sogenannten kritischen Infrastruktur ("Kritis"). Denn die Omikron-Variante verbreite sich sehr schnell. Mit Hilfe einer sogenannten Allgemeinverfügung zur Durchführung des Arbeitszeitgesetzes soll nun der befürchtete quarantänebedingte Ausfall von Personal aufgefangen werden, wie die niedersächsische Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) am Dienstag in Hannover laut NDR erklärte. Die Allgemeinverfügung soll zunächst bis zum 10. April gelten.

Drastische Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes – nur bis zum 10. April?

Dies bedeutet, dass nun Ausnahmen vom bestehenden Verbot der Sonntagsarbeit gemacht werden dürfen und die zulässige Wochenarbeitszeit auf maximal 60 Stunden in einzelnen Wochen erhöht werden darf. Die Ausnahmen sollen, so die Landesregierung, nur für Betriebe gelten, die zur sogenannten "kritischen Infrastruktur" gerechnet werden.

Immerhin soll der Richtwert, die maximal erlaubte durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden, nicht geändert werden. Aber um auf die nun zulässigen 60 Stunden pro Woche zu kommen, müssten die jeweiligen Betriebe das Personal in neuen Mehrschichtsystemen einteilen können. Die angeordnete Mehrarbeit und die Aufteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sollen wie bisher mitbestimmungspflichtig bleiben. Die Interessenvertretungen der Beschäftigten sollen auch weiterhin ein Mitspracherecht bei der Mehrarbeit haben. Inwiefern jedoch von einer Mitbestimmung in der Praxis die Rede sein kann, wenn sich tatsächlich ein Großteil der jeweiligen Belegschaft in Quarantäne befindet und der Arbeitsdruck zusätzlich steigt, erscheint derzeit noch unklar geregelt.

Ärztegewerkschaft äußert Befürchtungen

In einer Stellungnahme wertete die Ärztegewerkschaft "Marburger Bund" die mögliche Ausdehnung der maximalen Wochenarbeitszeit als ein denkbar schlechtes Signal, auch wenn die Betriebsräte nach wie vor zustimmen müssten und die Überstunden ausgeglichen werden. Der Landesvorsitzende Hans Martin Wollenberg wird mit folgender Warnung vom NDR zitiert:

"Der Personalmangel wird nicht geheilt, indem die verbliebenen Beschäftigten noch mehr über die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit hinaus arbeiten."

Die niedersächsische Neuregelung der Höchstarbeitszeit ist nicht die erste. Seit Beginn der Corona-Krise wurden auf Bundes- und Länderebene eine Reihe rechtlicher Vorschriften – jeweils nur "befristet" – erlassen, um "vorübergehend" Mehrarbeit in bestimmten Bereichen zu ermöglichen. Bereits im April 2020 sah sich der DGB veranlasst, die damals frisch herausgekommene Corona-Arbeitszeitverordnung zu kommentieren.

Ob die Ausdehnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit eben auf die momentan vielzitierten "kritischen Infrastrukturen" beschränkt bleibt, erscheint zudem fraglich. Dieser Bereich könnte ein ideales Testfeld darstellen, um – unter Verweis auf die Notlage – eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und -zeiten für abhängig Beschäftigte auszuprobieren. Bereits 2020 wurden Ausnahmen für – wie es damals hieß – "systemrelevante" Wirtschaftszweige eingeführt. Und nicht nur die seinerzeit erwähnte Transportbranche dürfte nun mit Interesse die neuen niedersächsischen Maßnahmen beobachten.

Maßnahmenbündel

Flankiert wird die Ausdehnung der Wochenarbeitszeit in Niedersachsen von einer Reihe weiterer Maßnahmen, die entweder bundesweit schon gelten oder aber in der Diskussion sind, wie etwa einer Verkürzung der Quarantäne oder Impfungen auch in Apotheken. Auch Jugendliche müssten sich darauf einstellen, von den 2G-Regelungen nicht länger ausgenommen zu bleiben.

Die niedersächsische Gesundheitsministerin äußerte im Zusammenhang mit der diskutierten Impfpflicht die Ansicht, dass es Gesundheitsämtern erlaubt sein müsse, "unter Umständen" ein Beschäftigungsverbot auszusprechen, wenn Mitarbeiter im Gesundheitsbereich nicht bis 15. März gegen COVID-19 geimpft sein sollten.

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