von Anton Gentzen, Leipzig
Montagabends in der Leipziger Innenstadt unterwegs zu sein, ist derzeit gefährlich. Völlig unabhängig davon, ob man tatsächlich gegen Corona-Maßnahmen protestiert oder sich nur zufällig und aus ganz anderen Gründen "am falschen Ort zur falschen Zeit" wiederfindet. Die sogenannte "Zivilgesellschaft" hat sich hier so sehr radikalisiert, dass sie jeden angreift und anpöbelt, der ihr wie ein Protestierender gegen Corona-Maßnahmen vorkommt.
Hintergrund ist, dass auch in Leipzig seit Wochen Maßnahmenskeptiker gegen die derzeitigen, in Sachsen besonders drastischen Beschränkungen des öffentlichen Lebens und die geplante Impfpflicht protestieren. Der traditionelle Tag, an dem die Proteste stattfinden, ist der Montag. Und das ist einem bestimmten Segment der Leipziger Stadtgesellschaft von Anfang an ein Dorn im Auge.
"Antifaschisten" auf Entzug
Das Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" wurde 2009 gegründet, um gegen rechtsextreme Demonstrationen in der sächsischen Messestadt vorzugehen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte der Hamburger NPD-Kader Christian Worch Leipzig ins Visier genommen und organisierte hier Woche für Woche Umzüge seiner rechtsradikalen Anhänger. Dagegen formierte sich zunehmender Unmut in der gesamten Stadtgesellschaft, der sich zu Blockaden der NPD-Umzüge formierte. Daran beteiligt waren Zehntausende Leipziger unterschiedlicher politischer Überzeugungen, und dies mit Erfolg: Nach etwa zweijährigem Kräftemessen gab Worch auf.
Darüber, welchen Anteil das Bündnis "Leipzig nimmt Platz" an der damaligen Massenbewegung hatte, kann man streiten. Tatsache ist, dass es der kleinen Gruppe damals nicht herausragender Mitglieder der SPD, der Grünen und der Linkspartei durch geschickte PR gelang, sich bekannt zu machen und den Erfolg für sich zu beanspruchen.
Das politische Kapital, das daraus erwuchs, fiel unterschiedlich aus: Die Linkspolitikerin Juliane Nagel sitzt nun bereits die zweite Legislaturperiode im sächsischen Landtag und verdient trotz immer noch nicht abgeschlossenen Studiums Geld, von dem viele promovierte Politologen nur träumen können. Die 48-jährige Irena Rudolph-Kokot, SPD-Mitglied und Verwaltungsangestellte, kandidierte hingegen erfolglos für den Landtag und muss sich derzeit mit Parteiämtern begnügen. Rechtsanwalt Jürgen Kasek sitzt für die Grünen im Stadtrat.
Ob es nun der Adrenalin-Kick, die öffentliche Aufmerksamkeit oder die zahlreichen Auszeichnungen für "Zivilcourage" sind, die für Entzugserscheinungen sorgen: Das Aktionsbündnis existiert auch ein Jahrzehnt später immer noch und gibt keine Ruhe. Seit es keine wöchentlichen NPD-Demos mehr gibt, ist man auf der ständigen Suche nach Surrogaten. Dabei ist es völlig egal, wie nah oder fern eine Kundgebung oder Bewegung zur "Rechten" steht, es wird gegen alles protestiert, demonstriert und gehetzt, was den Linientreuen suspekt und nicht staatstragend ist. Nicht nur "Legida", ein örtlicher Ableger der Pegida-Bewegung, wurde mit Blockaden und Gegenkundgebungen konfrontiert, es traf auch die in Leipzig von ausgewiesenen linken Aktivisten dominierten Friedensmahnwachen. Dafür wurden die linken Aktivisten kurzerhand zu "Neurechten" und "Querfrontlern" erklärt.
Verbale Eskalation ...
Nach einer kurzen Entzugsphase hat das Bündnis jetzt ein neues, dem politischen Mainstream suspektes Objekt gefunden, an dem es sich abarbeiten kann: die seit einigen Wochen in Form von nicht angemeldeten "Spaziergängen" laufenden Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Zuerst echauffierte sich Rechtsanwalt und Stadtrat Jürgen Kasek, der Rechtsverstöße und Gewalttaten "Linker" – wenn überhaupt – nur ganz leise verurteilt, Woche für Woche über die "illegalen Spaziergänge" und besonders über die angebliche Untätigkeit der Polizei. Die Sprache eskalierte mehr und mehr und mündete schon in Gewaltphantasien:
Die Bezeichnung der Maßnahmenskeptiker als "Corona-Schwurbler*innen, Nazis und Reichsbürger*innen" ist da noch vergleichsweise zurückhaltend.
Nicht dass man zuvor auch nur einen Tag mit Andersdenkenden geduldig war, man hatte nur beim Gegendemonstrieren eine Weihnachtspause eingelegt: Für den 10. Januar verkündete das Netzwerk das "Ende der Geduld" und meldete 16 Versammlungen in der Innenstadt von Leipzig an, just zu der Zeit, zu der die "Spaziergänge" der Maßnahmen- und Impfskeptiker stattfinden.
Den zentralen Augustusplatz belegte man so dicht mit den für jeweils zehn Personen angemeldeten Kundgebungen, dass niemand mehr eine Chance hatte, an den selbsternannten "Antifaschisten" vorbeizukommen.
So regeltreu, wie man auf Twitter gern vorgibt, war man letztlich selbst nicht: Statt der erwarteten 160 Gegendemonstranten waren rund 300 erschienen, und da interessierte dann die Beschränkung auf zehn Teilnehmer pro Versammlung auch nicht mehr.
... und der gelegte Brand
Was der hasserfüllte Aufruf schon vermuten ließ, und vermutlich genauso beabsichtigte, traf dann am gestrigen Montag tatsächlich ein: Verbale und physische Gewalt der "Gegendemonstrierer" gegen "Spaziergänger" und zufällige Passanten, Pöbeleien und Übergriffe. Die Pressemitteilung der Polizeidirektion Leipzig muss zwischen den Zeilen gelesen werden, will man die aufgeheizte Stimmung erahnen:
"In der Innenstadt musste die Polizei immer wieder Präsenz zeigen, um einzelne Auseinandersetzungen zwischen ehemaligen Teilnehmern des Protestes vom Augustusplatz und mutmaßlichen Corona-Kritikern zu verhindern."
Eine Vorstellung gibt auch die Meldung der Leipziger Volkszeitung (LVZ) in ihrer Ausgabe vom Dienstag:
"Fast zeitgleich wurde am Steigenberger Hotel eine kleine Gruppe von Passanten angegriffen. Obwohl die Angegriffenen beteuerten, nichts mit den Corona-Spaziergängern zu tun zu haben, wurden sie mit Fußtritten und Faustschlägen attackiert. Die Unbekannten waren auf Fahrrädern angerückt und flüchteten nach dem Übergriff unerkannt."
Das unübersehbare Problem, das Leipzig seit Jahren mit Gewalt "von links" hat, hätte schon längst entschärft werden können, wenn sich die selbsternannte "Zivilgesellschaft" ernsthaft und nicht nur mit routinierten Lippenbekenntnissen gegen sie stellen würde. Doch das Establishment der Parteien "links der Mitte" in der Stadt hätschelt die gewaltbereite Klientel und verharmlost die Erscheinungen, handelt es sich dabei doch häufig um die eigenen Kinder, Freunde oder Wähler. Zudem radikalisiert sich das Establishment zunehmend selbst, zumindest verbal.
Das alles sind keine guten Aussichten für den zivilen Frieden in der Stadt. Man fragt sich, was alles noch passieren muss. Gestern kam zum Glück niemand ums Leben: weder unter den Demonstrierenden beider Seiten noch unter den angegriffenen unbeteiligten Passanten. Das ist aber angesichts der Unerbittlichkeit, mit der das "linke" Segment derzeit auftritt, tatsächlich nur noch eine Frage des Glücks, des Zufalls – und, wenn es so weitergeht, der Zeit.
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