In Ostsachsen brodelt es. Wie in kaum einer zweiten Region Deutschlands treffen hier die Corona-Maßnahmen auf heftigen Widerstand. Regelmäßig sieht man sonntags Demonstranten an der Bundesstraße 96. Und in Bautzen wurden bereits zahlreiche "Mahnwachen" veranstaltet.
Doch um die steigende Zahl der positiv auf Corona Getesteten in den Griff zu bekommen, will der Landkreis Bautzen nun "1G für alle" einführen, wie die taz berichtet. "1G für alle" ist der Titel des Konzepts, das der sächsische Landkreis kommende Woche einführen will.
Damit hätten ausschließlich kurzfristig negativ getestete Personen Zutritt zu Restaurants, Fitnessstudios, Cafés, Kneipen oder Theatern – alles Einrichtungen, die in Sachsen seit Montag alle Nicht-Geimpften und Nicht-Genesenen, also fast die Hälfte der Bevölkerung durch Erlass der sächsischen Regierung aussperren müssen.
Doch mit der Einführung des 1G-Modells wäre sowohl der Genesenen- als auch der Impfnachweis nicht mehr entscheidend. Um öffentliche Veranstaltungen wie Museen oder Kinos zu nutzen, müssten sich nun alle Menschen vor einem Besuch testen lassen – Geimpfte, Genese und Nichtgeimpfte. Diese Corona-Schnelltests sollen deshalb wieder für alle kostenlos sein.
Mit dem 1G-Modell will der CDU-geführte Landkreis – der mit 29 CDU-Fraktionsmitgliedern genauso viele Sitze im Kreisrat wie die AfD hat – das dynamische Infektionsgeschehen eindämmen und damit die Krankenhäuser entlasten.
Vize-Landrat Udo Witschas (CDU), der für das Gesundheitsamt zuständig ist, sagte dazu:
"Ein Beharren auf der 2G-Regelung in der Hoffnung auf einen zusätzlichen Impferfolg bei bisher Ungeimpften ist mit Blick auf die aktuelle Situation ein gefährlicher Weg."
Die 7-Tage-Inzidenz im Kreis Bautzen ist laut Robert Koch-Institut (RKI) am Donnerstag auf 769,1 gestiegen. Noch im August verkündete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jedoch, dass diese Zahl als Kriterium nicht mehr entscheidend sei.
Wichtiger sei die Auslastung der Intensivbetten. Am Donnerstag waren angeblich nur noch zehn freie Intensivbetten zur Verfügung. Das hat jedoch bundesweit vor allem strukturelle Ursachen: Die Bundesregierung hat es in den fast zwei Jahren Corona-Krise nicht geschafft, diese Kapazitäten auszubauen – ganz im Gegenteil, je nach Quelle gibt es derzeit insgesamt in Deutschland 4.000 bis 5.000 Intensivbetten weniger als noch vor einem Jahr – und davon ist besonders der ohnehin strukturschwache Osten Deutschlands betroffen.
Gleichzeitig ist in Bautzen die Impfskepsis gegenüber den neuartigen mRNA-Impfstoffen stark ausgeprägt: Bautzen ist der Landkreis mit der zweitniedrigsten Impfquote in Sachsen: 46,5 Prozent der Einwohner sind doppelt geimpft.
Der Ausschluss der Ungeimpften führe "zu einer Verlagerung ins Private und damit zu einer Umgehung jeglicher Testungen", ergänzt Witschas. Und er holt noch weiter aus:
"1G soll einen Ansatz darstellen, wieder mehr Tests in dieser Personengruppe durchzuführen."
Außerdem tragen ohnehin auch Geimpfte zur Verschärfung der Corona-Lage bei: 15 Prozent der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen im Landkreis seien vollständig geimpft, auf den Normalstationen seien es sogar 37 Prozent.
Auf den von der taz vorgebrachten "Einwand", dass das 1G-Modell Ungeimpfte davon abhalten könne, sich doch noch gegen Corona impfen zu lassen, antwortet Witschas:
"Es könnte diesen Effekt geben. Allerdings ist für Ungeimpfte ein vollständiger Schutz erst nach fünf Wochen gegeben. Die Frage ist, ob die Kliniken diese Zeit haben."
Das 1G-Konzept soll vor allem kurzfristig Entlastung schaffen. Doch um die 1G-Regelung in Bautzen umsetzen zu können, benötigt der Landkreis die Zustimmung der sächsischen Landesregierung. Am Montag hat der Landrat dafür das Konzept in Dresden eingereicht. Die Fachkommission Modellprojekte werde sich "in Kürze mit dem Antrag befassen", heißt es dazu aus dem Wissenschaftsministerium in Sachsen.
Doch auch Kritik an dem Konzept bleibt nicht aus:
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im Bautzener Kreisrats, Roland Fleischer, fordert dagegen noch mehr Druck auf die Ungeimpften, anstatt auf diese zuzugehen. So nehme aus seiner Sicht "1G" den Tod vieler Menschen in Kauf. Er spricht sich für eine rigorose Impfpflicht für Angestellte im Gesundheitswesen aus sowie für die Beibehaltung der 2G-Regelung.
Nicht ganz so kritisch sieht das Silvio Lang vom Linken-Kreisverband. Er meint zwar, dass das 1G-Modell eine geeignete Möglichkeit sein könne, um die "außer Kontrolle geratene Corona-Pandemie" einzudämmen. Allerdings müssten die politisch Verantwortlichen die Menschen weiterhin "von der Notwendigkeit der Impfung" überzeugen. So sei es sei jetzt wichtig, dass die Tests wieder für alle kostenlos angeboten und die Corona-Regeln konsequent kontrolliert würden. Er mahnt:
"Weder die 2G-Regel wird in Sachsen flächendeckend eingehalten noch das Tragen von Masken."
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