"Ausgrenzung Russlands wäre fataler Fehler": Kubicki pocht auf Abbau der Spannungen mit Moskau

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hat beim beim Deutsch-Russischen Forum in Berlin einen Festvortrag gehalten. Darin legte er großen Wert auf die Normalisierung deutsch-russischer Beziehungen durch gemeinsames Bemühen und rief zu einem offenen bilateralen Dialog auf.

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland sei nie spannungsfrei gewesen, wobei die beiden Länder in der Nachkriegszeit schon deutlich bessere Zeiten im Vergleich zum aktuellen Zustand ihrer Beziehungen gehabt hätten, erklärte Kubicki in seiner Rede. Er zeigte sich angesichts der wachsenden Konfrontation der vergangenen Jahre ernsthaft besorgt und erinnerte an die historische Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Deutschen Bundestag am 25. September 2001, die von den Bundestagsabgeordneten damals "mit großer Euphorie" aufgenommen worden sei. Darin habe das russische Staatsoberhaupt unter anderem sein Bestreben verdeutlicht, eine neue Seite in den bilateralen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin aufschlagen und einen gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses leisten zu wollen. Diese Hoffnung klinge heute jedoch "ferner und fremder denn je". Kubicki sprach von einer "besorgniserregenden Situation":

"Die deutsch-russischen Beziehungen waren schon einmal deutlich intensiver und deutlich herzlicher. Die Hoffnung auf eine Vertiefung der deutsch-russischen Freundschaft, die vor 20 Jahren in Wladimir Putins Rede mitschwang, rückt immer mehr außer Reichweite. Diesen Umstand zu ändern sollte in beiderseitigem, in unser aller Interesse sein.

Es kann keine Zweifel geben, dass auf beiden Seiten die Anstrengungen erhöht werden müssen, um die aktuellen Spannungen abzubauen und um zu verhindern, dass wir uns immer weiter in eine Eskalationsspirale begeben. Wenn wir diesen Zirkel nicht bald durchbrechen, gehen wir mit Riesenschritten in Richtung eines Kalten Krieges zurück. Es liegt in unserer Hand, das abzuwenden."

Der Bundestagsvizepräsident hob die Wichtigkeit hervor, die Kommunikationskanäle offen zu halten und miteinander zu reden. So wichtig der direkte Austausch aber auch sei, bleibe das Einhalten von internationalen Regeln, Vereinbarungen und Verträgen weiterhin unerlässlich. Dies sei die Grundlage eines verträglichen und friedlichen Zusammenlebens, und darauf könne man nicht verzichten, wenn man ein Vertrauensverhältnis stärken oder wiederherstellen wolle, argumentierte Kubicki.

Seit der historischen Rede von Wladimir Putin im September 2001 habe der Westen und somit auch Deutschland im Verhältnis zu Russland einige Fehler gemacht, so Kubicki. Dazu zählte er unter anderem, dass die NATO dem russischen Sicherheitsbedürfnis zu wenig Beachtung geschenkt habe. Der Bundestagsvizepräsident zitierte dabei den ehemaligen Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger:

"Man hätte ab einem bestimmten Zeitpunkt den Schluss ziehen müssen, dass es nicht möglich sein würde, die NATO-Erweiterungspolitik fortzusetzen, ohne eine schwere Krise mit Moskau herbeizubeschwören."

Um ein vernünftiges und ehrliches Vertrauensverhältnis aufbauen zu können, müsse man allerdings über die Probleme und Streitpunkte sowie die jeweiligen Interessen offen sprechen, sagte Kubicki. Es sei notwendig, beidseitig die eigenen roten Linien füreinander verständlich zu machen, wie es die Einhaltung und Beachtung des internationalen Regelwerks für die deutsche Seite sei. Dabei spielte der FDP-Politiker auf die Wiedervereinigung der Halbinsel Krim mit Russland im Jahr 2014, der von Berlin weiterhin als völkerrechtswidrig angesehen wird. Kubicki führte aus:

"Die Annexion der Krim war und bleibt ein Bruch des Völkerrechts, und zwar unabhängig von der Frage, ob wir die russische Position nachvollziehen wollen, oder letztendlich das Nutzrecht der Völker entschieden hat, oder die deutsche Position oder die europäische Position über eine Verletzung der Integrität der Grenzen."

Dies klar auf allen Seiten zu akzeptieren und zu formulieren wäre ein notwendiger erster Schritt, sagte er.

Den Sanktionen, die die Europäische Union als Reaktion auf den Krim-Beitritt gegen Moskau verhängt hatte, steht Kubicki nach eigener Aussage sehr kritisch gegenüber. Sie könnten höchstens die zweitbeste Lösung sein und seien auch immer "ein Schnitt ins eigene Fleisch". Ob die Sanktionen die von ihnen erwünschte Wirkung dauerhaft und konkret erzielt hätten und deren andauernde Verlängerung eine Lösung des Problems näher gerückt habe, bezweifelte Kubicki ebenfalls. Dennoch betonte der Bundestagsvizepräsident:

"In diesem Fall hielte ich aber Sanktionen der Europäischen Union als unmittelbare politische und symbolische Reaktion auf den Bruch des Völkerrechts für nachvollziehbar, denn niemand kann erwarten, dass eindeutige Regelübertretungen von der internationalen Gemeinschaft schulterzuckend hingenommen werden."

Nichtsdestoweniger müsse man dringend an der Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen arbeiten und "unsere Sorgen, unsere Nöte und unseren Ärger" mit der anderen Seite teilen, um damit den Weg für eine bessere Kooperation zu eröffnen, fuhr Kubicki fort. Um eine Rückkehr zur Politik der wechselseitigen Verteuflung zu verhindern, sollte kein Partner anders behandelt werden, als man selbst von ihm behandelt werden möchte, nämlich "anständig, fair und frei von Vorurteilen".

Eine Menge Kritikpunkte gäbe es allerdings noch zu besprechen, legte der Bundestagsvizepräsident nahe. So erwarte Berlin weiterhin Erklärungen von Russland zur Inhaftierung des russischen oppositionellen Aktivisten Alexei Nawalny, dem sogenannten Tiergartenmord vom August 2019 sowie den jüngsten Hackerangriffen auf den deutschen Bundestag. Der Dialog müsse jedoch nicht nur aus dem deutschen Verständnis, sondern auch aus dem russischen Verständnis heraus geführt werden, erklärte Kubicki. Dies sei jedenfalls nur möglich, wenn man miteinander rede und sich nicht anschweige. Kubicki ferner:

"Selbstverständlich muss auch die deutsche Seite bereit sein, Kritik von russischer Seite entgegenzunehmen. Ich spreche uns nicht von Fehlern frei, ich halte jedoch mindestens die soeben aufgezählten Punkte für geeignet, eine gravierende Störung des beiderseitigen Verhältnisses zu verursachen. Eine Störung, die, wenn sie unbearbeitet bleibt, sich irgendwann kaum noch beseitigen lässt."

Wenn man den Weg einer weiteren Verhärtung der Fronten und der drohenden Rückkehr in die Zeiten des Kalten Krieges nicht weitergehen wolle, müsse das Verhalten auf beiden Seiten verändert werden, sagte der Politiker. Es müsse konsequent und unter Einhaltung internationaler Regeln und vertraglicher Verpflichtungen gehandelt werden. Kubicki fasste zusammen:

"Es liegt im ureigenen deutschen Interesse, ein gutes Verhältnis zu Russland zu pflegen. Eine Politik, die nicht auf Zusammenarbeit mit Russland, sondern auf Ausgrenzung abstellt, kollidiert mit unseren Wertvorstellungen. Sie stünde im Übrigen auch im Gegensatz zu unserer Verfassung. Das Grundgesetz hat in Artikel 26 die Verpflichtung verankert, das friedliche Zusammenleben der Völker zu fördern. Dies ist eine unmittelbare bindende Vorschrift unserer Verfassung. Sie verpflichtet jedermann, staatliche Organe wie auch jeden einzelnen Bürger."

Der Bundestagsvizepräsident hielt es für notwendig, Russland im Rahmen einer europäischen Sicherheitspartnerschaft einzubinden, anstatt das Land auszugrenzen. Dafür müsse aber auch auf russischer Seite das ehrliche Bemühen erkennbar sein, eine neue Seite im beiderseitigen Verhältnis aufzuschlagen. Kubicki betonte:

"Wir werden nie gegen, sondern nur mit Russland die großen Krisen der Welt bekämpfen können. Wir werden nie gegen, sondern nur mit Russland eine stabile Friedensordnung erreichen können. Und wir werden nie gegen, sondern nur mit Russland dem Klimawandel die Zähne zeigen können. Deshalb wäre eine Ausgrenzung Russlands nicht nur wenig hilfreich, sondern aus friedenspolitischer Sicht ein fataler Fehler."

Kubicki rief zu einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht auf allen Ebenen sowie dazu auf, die Ängste und Sorgen auf beiden Seiten offen anzusprechen, denn nur so könnten diese abgebaut werden.

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