Fünf Prozent in Hamburg, knapp 25 Prozent in Sachsen: So weit liegen die AfD-Ergebnisse in verschiedenen Landesteilen auseinander. Insgesamt ging es bei der Bundestagswahl abwärts für die rechtsnationale Partei: Bundesweit kommt die AfD nur noch auf 10,3 Prozent – 2017 waren es noch 12,6 Prozent. Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen – überall ein Minus und einstellige Werte. In Sachsen und Thüringen schafft es die Partei indes mit rund einem Viertel der Stimmen auf Platz eins, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf Platz zwei. Wird die AfD damit eine "Lega Ost"?
Den Vergleich zu den Rechtskonservativen von der Lega Nord in Italien zog AfD-Chef Jörg Meuthen am Wahlabend selbst. Die Perspektive, zu einer Regionalpartei zu werden, wäre ihm zufolge nicht erfreulich. "Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir im Westen genauso erfolgreich sein wie im Osten", sagte Meuthen der Deutschen Presse-Agentur. Er hoffe, dass dies jedem in der Partei bewusst sei. Die AfD dürfe eben nicht zur "Lega Ost" werden.
In Italien habe der Vorsitzende Matteo Salvini die Lega Nord ja bewusst zur landesweiten Partei umgeformt. "Wenn wir den Weg umgekehrt gingen, dann wäre das der Inbegriff des Törichten", sagte Meuthen am Tag nach der Wahl in Berlin. "Wir müssen einen gesamtdeutschen Auftritt haben."
Sein Co-Chef Tino Chrupalla, der sein Direktmandat in Sachsen verteidigte, sieht die Sache andersherum: Angesichts der starken Werte fast überall im Osten ist er mit der Bundestagswahl insgesamt zufrieden. Er sprach von einem "sehr stabilen Ergebnis". Co-Spitzenkandidatin Alice Weidel sagte, dass sie sich das Ergebnis "nicht schlechtreden lasse, von niemanden". 16 Direktmandate gewann die Partei, alle im Osten.
Von den erfolgreichen AfD-Landesverbänden ergingen auch prompt Mahnungen Richtung Westen. Nötig sei mehr Programmtreue, sagte der thüringische Co-Parteichef Stefan Möller der dpa. Es wäre "gut, wenn man vom Osten lernt". Denn, so sagte der AfD-Chef in Sachsen-Anhalt Martin Reichardt der dpa: "Wir sind hier im Osten klar Volkspartei geblieben." Die AfD könne nicht als bloße Protestpartei abgetan werden, ihr würden auf vielen Feldern Kompetenzen zugeschrieben.
Das sehen Experten ähnlich. Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer hatte schon vor der Wahl vorausgesagt, die Stärke der AfD in Ostdeutschland werde von Dauer sein. "Die AfD hat sich auch organisatorisch in einzelnen Milieus und Gruppen festgesetzt, auch in Betrieben", sagte der Professor der TU Dresden. Die Partei präsentiere sich als Kümmerer vor Ort. Und sie sei auch unter jungen Leuten gefragt. "Da wachsen neue Wähler nach", sagte Vorländer. Bei den U-18-Wahlen von Kindern und Jugendlichen in der vorigen Woche lag die Partei in Sachsen und Thüringen vorn.
Den größten Zuspruch erhielt sie bei der Bundestagswahl von Arbeitern und Arbeitslosen. Damit setzt die AfD den von Ex-Parteichef Alexander Gauland forcierten Kurs fort, sich als "Partei der kleinen Leute" zu etablieren. Bei Selbstständigen und Rentnern schnitt die einstige "Professorenpartei" (so wurde sie halbironisch zu Zeiten der Gründung durch Bernd Lucke und Co. genannt – Anm. der Red.) dagegen deutlich schwächer ab.
Die einzige Partei, die Wähler an die AfD abgab, war die Linke. SPD, CDU, CSU und FDP und in geringerem Maße auch die Grünen konnten dagegen Wähler gewinnen, die bei der letzten Bundestagswahl den Rechtskonservativen ihre Stimme gegeben hatten.
Die Partei profitiert von Staatsskepsis, Demokratie-Ernüchterung und wirtschaftlicher Ungleichheit in den östlichen Bundesländern.
"Die AfD wird gewählt von Bürger/innen, die neben der Merkel-Regierung auch die Kanzlerkandidaten kritisch sehen, die zur Klimapolitik, zu Corona-Maßnahmen oder zu Ausländern sehr eigene Ansichten haben und für die die AfD eine Kommunikationsplattform ist", analysierte die Forschungsgruppe Wahlen am Sonntag.
Chrupalla sprach von einem Angebot an die "bürgerliche Mitte", die AfD sei "in keinster Weise eine rechtsradikale Partei". Diese Ansicht wird vom Verfassungsschutz jedoch nicht geteilt. So stufte der Verfassungsschutz den Thüringer AfD-Landesverband im Mai als extremistisch ein. Der Zentralrat der Juden in Deutschland warnt ausdrücklich vor der AfD.
Der Rechtsaußen-Flügel der Partei um den thüringischen Landeschef Björn Höcke setzt gezielt auf Polarisierung. Sein Co-Landeschef Möller sagte, ein zentraler Grund für den Erfolg im Land sei, dass man "kompromisslos für die eigene Linie" eintrete. "Wir sprechen Dinge an, für die wir von den anderen verdroschen werden." Die Beobachtung durch den Thüringer Verfassungsschutz sei eine direkte Folge davon. "Aber das wird von den Leuten honoriert", meinte Möller.
Diese völkische Strömung werde in der AfD an Einfluss gewinnen, sagte der Rechtsextremismusexperte und Soziologe Matthias Quent der dpa in Erfurt. Höcke habe jetzt "Rückenwind für die innerparteilichen Machtkämpfe gegen Jörg Meuthen".
Der Höcke-Flügel argumentiert seit Langem, der Zuspruch im Osten sei ein Beleg dafür, dass die AfD mit noch größerer Abgrenzung zu anderen Parteien bessere Ergebnisse erzielen könne. Das gemäßigte Lager um Meuthen hält dagegen, im Westen sei damit nichts zu gewinnen. Ein Erfolgsrezept für die westlichen Bundesländer hat aber auch er nicht parat. Im parteiinternen Gerangel sitzt Meuthen längst nicht mehr fest im Sattel.
Höcke steckt sich dagegen bereits neue Ziele. Nach dem Wahlsieg bei der Bundestagswahl in Thüringen soll die AfD dort auch bei der nächsten Landtagswahl ganz vorn liegen. Soziologe Quent hält das nicht für aussichtslos.
"Man muss sich in Ostdeutschland darauf einstellen, dass die AfD stärkste Kraft wird."
Die neue Fraktionsspitze der AfD soll am Mittwoch gewählt werden. Weidel und Chrupalla haben angekündigt, gemeinsam antreten zu wollen. So war es auch vor vier Jahren gelaufen. Nach der Bundestagswahl hatte sich Weidel gemeinsam mit Gauland um den Fraktionsvorsitz beworben. Meuthen sagte, er wolle sich in die Belange der Fraktion nicht einmischen, er halte es aber grundsätzlich für keine gute Praxis, "im Doppelpack anzutreten".
Ob er selbst auf dem Bundesparteitag im Dezember erneut für den Parteivorsitz kandidieren wird, ließ Meuthen offen. Die Spannungen zwischen ihm und Chrupalla waren am Montag beim gemeinsamen Auftritt in Berlin mit Händen zu greifen.
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(dpa/rt de)