Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, der im medialen Mainstream gern als Gesundheitsexperte bezeichnet wird, hat die Forderung von Kassenärztechef Andreas Gassen nach einem Freedom Day und damit der Aufhebung aller Anti-Corona-Maßnahmen zum 30. Oktober scharf zurückgewiesen.
"Die Impfquote ist noch deutlich zu niedrig, sodass wir ab Spätherbst sehr hohe Fallzahlen und sehr viele Intensivpatienten bekämen, darunter auch jüngere Menschen", sagte Lauterbach im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).
"Ich finde den Ansatz von Herrn Gassen unvertretbar, einfach mal auszutesten, was unser Gesundheitssystem aushält, wie viele Patienten auch intensiv behandelt werden können." Als Epidemiologe gehe es ihm darum, "das Leid der Menschen so stark wie irgend möglich durch Vorbeugung und Impfung zu begrenzen, nicht auf der Intensivstation".
Andreas Gassen hatte zuvor in der NOZ eine "klare Ansage" der Politik gefordert: "In sechs Wochen ist auch bei uns Freedom Day! Am 30. Oktober werden alle Beschränkungen aufgehoben!" Seine Argumente: In Großbritannien und Dänemark sei auch nach Beendigung der Pandemiebekämpfung kein Gesundheitsnotstand absehbar, und die Festlegung eines Datums würde noch viele Menschen zum Impfen bewegen.
Die Hoffnung, die Menschen zum Impfen durch die Ankündigung eines Freedom Days motivieren zu können, bezeichnete Lauterbach in der NOZ als "unrealistisch". "Warum sollte sich noch jemand impfen, wenn die Beschränkungen so oder so wegfallen?", fragte er. Schließlich habe ein erheblicher Teil der derzeit noch nicht Geimpften keine Angst, sich mit Corona anzustecken.
Lauterbach machte einen Gegenvorschlag: "Wir sollten das Ziel einer Impfquote von 85 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ausgeben und ankündigen, dass beim Erreichen der Marke tatsächlich wesentliche Lockerungen kommen", sagte der SPD-Politiker und Mediziner.
"Gut möglich, dass wir dann auch auf die 2G-Regel verzichten könnten, also den Ausschluss nicht Geimpfter von bestimmten Veranstaltungen", sagte Lauterbach. Alles unterhalb der 85 Prozent wäre wegen der hoch ansteckenden Delta-Variante im Winter aber "sehr riskant und nicht durchhaltbar, da kommen wir in Regionen mit erhöhter Inzidenz definitiv nicht ohne 2G aus", sagte Lauterbach. Die Strategie müsse mit der klaren Botschaft verknüpft werden, "dass die Restriktionen wegen der hohen Zahl der Nichtgeimpften bis dahin beibehalten werden müssen".
Der KBV-Vorstand forderte auf der Vertretersammlung am Freitag die Aufhebung der Corona-Maßnahmen und die Nennung der angestrebten Impfquote. "Gruselrhetorik" und "Panikpolitik" müssten enden, da sich mittlerweile jeder Bürger eigenverantwortlich impfen lassen kann.
"Wenn eine Impfpflicht nicht gewollt ist – und ich will sie auch nicht –, dann gibt es politisch nur eine Alternative: die Aufhebung aller staatlich veranlassten Restriktionen", sagte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandschef des KBV, laut einem Bericht der Ärzte Zeitung.
Hofmeister begründete seine Forderung damit, dass die Einschränkungen durch die Politik gerechtfertigt waren, als noch nicht alle Bürger gegen COVID-19 geimpft werden konnten. Da nun jeder, der das will, sich impfen lassen kann, liege die Verantwortung nicht mehr beim Staat, sondern beim Bürger.
Die Politik müsse vielmehr eine Impfquote benennen, ab der sie zusagt, die Corona-Maßnahmen zu beenden, forderte die Vorsitzende der Vertreterversammlung Dr. Petra Reis-Berkowicz.
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