Der Rückzug aus Afghanistan nach 20 Jahren Krieg hat in der Bundesrepublik zu Diskussionen über die Auslandseinsätze der Bundeswehr geführt. Dabei wird unter anderem ein Ende dieser Einsätze gefordert. Doch sie dürften nach der Bundestagswahl weitergehen, wenn auch reduzierter, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag vom Freitag zeigt.
"Militärisch wird es künftig stärker um Abschreckung gehen", schreibt der Außenpolitikchef der Zeitung, Nikolas Busse. Und:
"Die traditionelle Machtbalancepolitik lebt wieder auf."
Aus seiner Sicht bedeutet der Abzug aus Afghanistan nicht, dass die Bundeswehr weniger weltweit zum Einsatz kommt.
Derzeit sind rund 2.300 bundesdeutsche Soldaten in dreizehn Auslandseinsätzen. "Im Kosovo ist Deutschland seit Juni 1999 vertreten, derzeit mit 75 Soldaten", rekapituliert Busse. Aktuell gilt der Einsatz im afrikanischen Mali als größter und "wahrscheinlich auch anspruchsvollster". Daran sind mehr als 1.200 Bundeswehrsoldaten beteiligt.
Ende der Auslandseinsätze?
Für Busse entsteht die Frage: "Wird es den klassischen Friedens- und Stabilisierungseinsatz, der seit den Neunzigerjahren die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik geprägt hat, bald nicht mehr geben?" Er vermisst dazu Aussagen im aktuellen Bundestagswahlkampf.
Die Europäische Union (EU) wolle dagegen weiter international mitmischen, was bis zu Vorschlägen reicht, Evakuierungseinsätze wie in Kabul künftig ohne US-Hilfe durchzuführen. Zudem hat die EU unlängst beschlossen, im afrikanischen Mosambik Soldaten auszubilden, die gegen islamistische Milizen im Norden des Landes kämpfen sollen.
FAZ-Redakteur Busse erinnert daran, dass die USA zunehmend eigene Soldaten aus Krisen- und Kriegseinsätzen im Ausland zurückziehen. Das habe schon unter Präsident Barack Obama begonnen. Auch der aktuelle Amtsinhaber Joseph Biden hat angekündigt, die Ära der "ewigen Kriege" beenden zu wollen.
Damit haben jene in den westlichen Staaten, die gern weiter anderswo mitmischen wollen, anscheinend ein Problem: Ohne US-amerikanische Führung und Unterstützung sind laut FAZ größere westliche Operationen kaum zu verwirklichen. Die EU-Mitgliedsstaaten hätten seit 1999 ihr Militär zum Teil massiv abgebaut, vom Personal bis zur Ausrüstung. Ohne Zusammenarbeit mit Großbritannien seien kaum Einsätze möglich.
Rückkehr alter Muster
Während laut Studien die Terrorgefahr international zurückgeht, lebt aus Sicht der FAZ die "traditionelle Machtbalancepolitik" wieder auf. Die Außenpolitik Russlands und Chinas Aufstieg hätten "in vielen westlichen Hauptstädten zu einem nachlassenden Interesse am Krisenmanagement in Entwicklungsländern" geführt. Die USA wollen sich danach auf die "strategische Auseinandersetzung mit China" konzentrieren. Die EU will sich angeblich vor allem "gegen Russland" verteidigen, so die FAZ.
Deshalb rechnet deren Außenpolitikchef damit, dass es in den nächsten Jahren militärisch "stärker um Abschreckung" geht. Diplomatisch drehe sich alles um die Beziehungen zu den Großmächten. Busse verweist auf die verbreitete Stimmung in der Gesellschaft gegen Bundeswehr-Auslandseinsätze. Dagegen seien "schon neue Aufgaben für die deutsche Rolle in der Welt gefunden" worden.
So sei in einer Umfrage im April für die Zeitschrift Internationale Politik der weltweite Klimaschutz als "wichtigste außenpolitische Priorität" genannt worden. Dem seien die Themen Unterstützung ärmerer Länder in der Corona-Krise, stärkerer EU-Zusammenhalt und "die Begrenzung des Einflusses autoritärer Staaten wie Russland und China" gefolgt. FAZ-Redakteur Busse rechnet damit, "dass solche Erwartungen auf die nächste Bundesregierung mindestens so viel Einfluss haben werden wie internationale Faktoren".
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