Wegen "Pimmel"-Tweet an Hamburgs Innensenator: Wohnung durchsucht – Unverhältnismäßigkeit kritisiert

Hamburgs Innensenator Andy Grote wurde jüngst auf Twitter wegen seines Kommentars über feiernde Menschen ohne Abstand im Schanzenviertel als "Pimmel" bezeichnet. Nun durchsuchte die Polizei die Wohnung eines Verdächtigen. Für die Razzia hagelte es Kritik.

Ein Twitter-Nutzer mit dem Pseudonym "ZooStPauli" hatte vor rund drei Monaten unter einem Tweet des Innensenators von Hamburg, Andy Grote, einen Kommentar geschrieben, der nun zu einer Hausdurchsuchung führte. Mehrere Beamte klopften am Mittwochmorgen an die Tür einer Wohnung in der Bernhard-Nocht-Straße auf St. Pauli und wollten offenbar das elektronische Gerät sicherstellen, von dem aus dieser Tweet abgesetzt wurde. Die Razzia machte der Twitter-Nutzer selbst auf Kurznachrichtendienst öffentlich. Es geht um Beleidigungen im Internet.

Der Twitter-Nutzer hatte damals einen Tweet des SPD-Politikers mit den Worten kommentiert: "Du bist so 1 Pimmel." Grote hatte Ende Mai einen Bericht des NDR über "Tausende Feiernde im Schanzenviertel" geteilt und mit den Worten versehen, dass dort "die Ignoranz" feiere. Weiter schrieb der SPD-Politiker:

„Manch einer kann es wohl nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen ... Was für eine dämliche Aktion!"

Grote selbst hatte jedoch im Juni 2020 eine Party mit 30 Gästen organisiert und damit selbst gegen die Coronaregeln der Stadt verstoßen. Daran wurde er auch von anderen Twitter-Nutzern unter seinem Kommentar erinnert. 

Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Aktion der Polizei in Hamburg-St. Pauli. "Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Amtsgericht Hamburg einen Durchsuchungsbeschluss erlassen," erklärte eine Sprecherin am Donnerstag in Hamburg. "Ziel war es, herauszufinden, wer konkret Zugriff auf einen bestimmten Twitter-Account hat, von dem aus die Beleidigungen veröffentlicht wurden", wird die Sprecherin seitens der Nachrichtenagentur dpa zitiert. 

Der Staatsanwaltschaft zufolge seien Durchsuchungen nach Beleidigungen im Internet in Hamburg nicht unüblich. Im Jahr 2021 sei bereits eine mittlere zweistellige Zahl von entsprechenden Beschlüssen erlassen worden.

In sozialen Medien rief die Aktion der Polizei rege Diskussion hervor. Es wurde darüber debattiert, ob der Einsatz verhältnismäßig war. Beim Kurznachrichtendienst Twitter schaffte es das Thema unter dem Hashtag #pimmelgate zu einem der bundesweit am meisten diskutierten.

Grote selbst äußerte sich über den Polizeieinsatz gegenüber dem NDR. "Als Politiker oder politisch Aktiver wird man ständig mit Beleidigungen und Häme im Netz konfrontiert. Ich rate immer allen dazu, Anzeige zu erstatten, damit das auch verfolgt werden kann", sagte Hamburgs Innensenator. Genau das habe er getan.

Von der Opposition in der Hansestadt gibt es auch Kritik. Laut einem NDR-Bericht fordert Linken-Politiker Deniz Çelik die Aufklärung des nach seiner Ansicht unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes. Nach Ansicht der AfD-Politikers Dirk Nockemann hat sich der Innensenator lächerlich gemacht, während für den CDU-Politiker Dennis Gladiator hier der Kontext eine Rolle spielt. Denn der Innensenator habe selbst gegen Corona-Auflagen verstoßen, dann andere kritisiert und danach sei die Beleidigung gekommen.

Von seiner eigenen Partei bekam Grote Unterstützung. Laut Parteikollege Sören Schumacher müsse jede Beleidigung zur Anzeige gebracht werden, unabhängig davon, wen sie betrifft, erklärt er laut NDR. Jennifer Jasberg von den Grünen unterstützt die Strafverfolgung bei Hass im Netz. Allerdings stelle sich für sie die Frage der Verhältnismäßigkeit mit Blick auf Beschimpfungen von Frauen im Netz.

Nachtrag

Gegenüber RT DE erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg, dass das Ziel der Maßnahme die Feststellung gewesen sei, "wer konkreten Zugriff auf den Twitter-Account hat, von dem die Beleidigung veröffentlicht wurde und damit das Auffinden von tatrelevanten Beweismitteln". Weiter erklärte sie:

"Die Durchsuchungsmaßnahme war notwendig angesichts des nichtkooperativen Verhaltens des Beschuldigten und ist verhältnismäßig durchgeführt worden. Allein die Feststellung, dass ein Beschuldigter Nutzer des Accounts ist, von dem ein strafbarerer Inhalt verbreitet wurde, reicht für den Tatnachweis in der Regel nicht aus."

Hausdurchsuchungen würden immer dann veranlasst, "wenn eine Auffindevermutung von tatrelevanten Beweismitteln vorhanden ist". Da viele Taten strafbarer Beleidigungen im Internet mittels internetfähigen Geräten begangen würden, "werden auch in diesem Deliktsbereich regelhaft Durchsuchungen vorgenommen". Eine Statistik darüber, in welchen Fällen einer Beleidigung eine Durchsuchung erfolgte, werde laut Sprecherin bei der Staatsanwaltschaft nicht geführt.

Ein Sprecher der Behörde für Inneres und Sport der Hansestadt Hamburg teilte auf Anfrage mit: "Dass in diesem Fall die Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung veranlasst hat, ist deren autonome Entscheidung, auf die auch niemand von außen Einfluss nimmt. Aber uns allen muss klar sein: Wenn wir gegen strafbare Hass- und Beleidigungstaten im Netz konsequent vorgehen wollen, dann sind hierzu auch häufig Durchsuchungen erforderlich." Inzwischen fänden solche Durchsuchungen auch regelmäßig statt. 

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