"Vorsicht vs. Risiko? Vom Umgang mit der Pandemie" lautete die Überschrift zur Eröffnungsrunde der 9. Phil.Cologne in den Köln-Ehrenfelder Balloni-Hallen am Donnerstag, wie der Kölner Stadtanzeiger berichtet. Die Philosophin und Autorin Svenja Flaßpöhler stellte als Moderatorin gleich zu Beginn der Runde die Frage:
"Muss die individuelle Freiheit sterben, damit wir leben können?"
Einerseits war hier der SPD-Mann Karl Lauterbach als restriktiver Corona-Maßnahmen-Verfechter eingeladen, während ihm gegenüber andererseits der Bonner Philosoph Markus Gabriel saß. Der verlangte denn auch sogleich mehr Eigenverantwortlichkeit in der gegenwärtigen Situation:
"Der Staat hat in der Krise viel zu sehr die Führung übernommen."
Etwas überraschend erklärte Lauterbach diese Kritik an der "Top-Down-Herangehensweise" des Staates als völlig berechtigt. Auch sei der SPD-Politiker gegen eine Impfpflicht, und er begründete es folgendermaßen:
"Weil wir dann wirklich von einer Staatsgewalt sprechen, die wir in der Nachkriegszeit in Deutschland noch nicht gesehen haben. Dagegen ist das Eintreiben der GEZ-Gebühren gar nichts."
Lauterbach berichtet, er sei in den vergangenen Monaten sehr vielen Menschen über den Weg gelaufen, die solch eine panische Angst vor der Impfung hätten, dass "sie eher sterben wollten – oder ihn umbringen –", als sich impfen zu lassen: Er resümierte:
"Ich kämpfe gegen Leute, die mich als Hitman einer jüdischen Weltverschwörung sehen."
Dennoch ist er nach wie vor ein großer Fan der neuartigen mRNA-Impfungen:
"Aber wir sind damit gut gefahren, haben die halbe Sterblichkeit im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Die 100.000 Menschen, die wir gerettet haben, waren es wert."
Wo Lauterbach genau diese Zahl hernahm, verriet er aber nicht.
Im Anschluss geriet die Rollenverteilung ein wenig durcheinander, als es nämlich zur Frage einer Impfpflicht kam. Während Lauterbach diese - wie bereits berichtet - gar nicht möchte, sprach sich Gabriel überraschenderweise dafür aus:
"Weil eine Impfpflicht besser ist, als jede mir bekannte erwartbare Alternative für den Herbst."
Das Problem der Gewaltanwendung gegenüber den "Impfgegnern" drehte er spontan um:
"Fügen wir dann nicht den anderen 90 Prozent der Bevölkerung Staatsgewalt zu?"
Lauterbach sagte dazu: "Die Einschränkungen sind für sie als Geimpfter doch zum großen Teil aufgehoben." Und er zitierte Thomas M. Scanlons Übertragung von Kants kategorischem Imperativ: "Moralisch ist geboten, was kein vernünftiger Mensch ablehnen kann." Angeblich habe die Bundesregierung nach dieser Haltung des amerikanischen Moralphilosophen auch während der Corona-Krise gehandelt.
Gabriel erwiderte darauf, ein sechsjähriges Schulkind, das 14 Tage in Quarantäne musste, könne vernünftigerweise etwas ganz anderes verlangen:
"Dass Kinder trotz negativem PCR-Test so lange nach Hause geschickt werden, finde ich moralisch verwerflich."
Darauf Lauterbach überraschend: "Soll ich ehrlich sein? Da bin ich sogar derselben Meinung."
Die schon in Hamburg eingeführte 2G-Regelung führe laut Gabriel zur Diskriminierung von Kindern: "Das ist nudging." – durch Maßnahmen ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen. Doch Lauterbach sah das anders: So ginge es bei der 2G-Regelung nicht um eine "Gängelung der Ungeimpften". Doch von ihnen gehe nun einmal objektiv eine viel größere Gefährdung aus als von Geimpften.
Sollen die Menschen in der Konsequenz also Eigenverantwortung an den Staat abgeben, wie es Lauterbach verlangt, weil für das Individuum die Komplexität der Lage nicht mehr überschaubar sei? Oder ist die Lage sowieso auch unabhängig von Corona immer komplex, wie Gabriel feststellt:
"Es gab vorher nur Filter. Durch Corona ist ganz viel sichtbar geworden. Die Pandemie war für viele ein Wirklichkeitsschock."
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