RKI-Papier: Inzidenzen nicht mehr alleiniger Indikator für Anti-Corona-Maßnahmen

Medienberichten zufolge plant das Robert Koch-Institut, die Sieben-Tage-Inzidenz nicht mehr als alleinigen Maßstab für Maßnahmen gegen die Pandemie zu nutzen. Das Institut will nun die Zahl an schweren Erkrankungen als zusätzlichen Leitindikator einführen.

Immer wieder wurde in der Corona-Politik Deutschlands die Fokussierung auf die Inzidenzwerte als Maßstab für Einschränkungen des öffentlichen Lebens benutzt – und kritisiert. Doch nun will einem Medienbericht zufolge selbst das Robert Koch-Institut (RKI) die Hospitalisierung als zusätzlichen Leitindikator einführen. Dies berichtet das Boulevard-Blatt Bild unter Berufung auf eine interne RKI-Präsentation.

In dem Papier heißt es, es seien "weiterhin mehrere Indikatoren zur Bewertung notwendig, aber die Gewichtung der Indikatoren untereinander ändert sich". Das RKI begründet die Einbeziehung der Hospitalisierungsquote demnach mit der "Zunahme der Grundimmunität". Man rechne mit einer "Abnahme der schweren Fälle" und fordere daher einen "stärkeren Fokus auf die Folgen der Infektion" wie etwa schwere Erkrankungen mit Hospitalisierung, Todesfälle oder langfristige Folgen.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte nach nunmehr über einem Jahr seit Beginn der Corona-Krise angekündigt, künftig mehr auf die Krankenhäuser achten zu wollen und künftig genauere Daten von diesen zu erheben:

"Da die gefährdeten Risikogruppen geimpft sind, bedeutet eine hohe Inzidenz nicht automatisch eine ebenso hohe Belastung bei den Intensivbetten. Die Inzidenz verliert zunehmend an Aussagekraft, wir benötigen nun noch detailliertere Informationen über die Lage in den Kliniken."

Künftig müsse man daher alle im Krankenhaus behandelten COVID-19-Patienten sowie ihr Alter, die Art der Behandlung und ihren Impfstatus melden. Nur so könne man abschätzen, "wie hoch die Belastung für das Gesundheitssystem wird und wie gut die Impfungen wirken", erklärte Spahn gegenüber der Bild am Sonntag.

Kritik an der Aussagekraft der Sieben-Tage-Inzidenz gab es in der Vergangenheit immer wieder. So forderte im April der ehemalige Leiter des Globalen Influenza- und Pandemievorbereitungsprogrammes der WHO Genf Prof. Dr. Klaus Stöhr ebenso wie Prof. Dr. Detlev Krüger, der ehemalige Chef am Institut für Virologie der Berliner Charité, die Sieben-Tage-Inzidenz nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage für Corona-Maßnahmen zu benutzen. Stattdessen solle man sich besser auf tatsächliche Erkrankungen und insbesondere auf die Schwere des Krankheitsverlaufs fokussieren.

Auch die SPD-Bundestagsfraktion teilte am Samstag in einer Stellungnahme mit, die Inzidenz werde nach der "erfolgreichen Impfkampagne keine hinreichende Kennziffer mehr sein". Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU) erklärte gegenüber der Welt am Sonntag ebenfalls, dass der Inzidenzwert an Aussagekraft verliere, "je mehr Menschen geimpft oder getestet sind". Man solle sich deshalb auf die Intensivbettenbelegung fokussieren.

Allerdings ist auch die Belegung der Intensivbetten mit COVID-19-Patienten als Indikator nicht unumstritten. Durch einen Bericht des Bundesrechnungshofs wurde bekannt, dass die Rechnungsprüfer einen Anreiz zur Manipulation der Belegungszahlen ausgemacht hätten. Dabei beruft man sich auf den Schriftverkehr des Robert Koch-Instituts. Dieses hatte am 11. Januar 2021 in einem von der Öffentlichkeit kaum beachteten Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium von einem Verdacht gesprochen, wonach Krankenhäuser "zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze" meldeten, "als tatsächlich vorhanden waren".

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