Es war im Mai 2020, als der SPD-Politiker und Mediziner Karl Lauterbach gegen das von der Deutschen Fußball Liga (DFL) entwickelte Konzept für die Rückkehr der Fans in die Fußballstadien wetterte. Das sogenannte Rückkehrkonzept sei "falsch" und "fatal", wusste Lauterbach zu berichten. Der Beschluss sei "enttäuschend und falsch, ich bedauere ihn sehr".
"Das Hygienekonzept funktioniert nicht. Und das Signal ist fatal."
Zuvor hatte sich der Gesundheitsökonom selbst gegen Bundesliga-Spiele vor leeren Rängen, die sogenannten Geisterspiele, ausgesprochen – es drohe eine Katastrophe.
"Stellen Sie sich folgende katastrophale Situation vor: Wir lassen die Bundesliga wieder anrollen, und es kommt wieder zu mehr Fällen."
Doch der Ball begann wieder zu rollen – ohne dass sich Lauterbachs Prophezeiungen bewahrheiteten. Im November 2020 ruderte er zurück: "Die Geisterspiele haben sich als sicherer erwiesen, als ich gedacht habe. Ich hatte gedacht, dass es um die Geisterspiele herum große Fan-Ansammlungen gibt und sich die Fans gegenseitig infizieren."
Zudem habe er "mit einer höheren Zahl an infizierten Spielern gerechnet".
"In beiderlei Hinsicht lag ich falsch."
Die Rufe auf Grundlage eines Hygienekonzepts, auch wieder Zuschauer in die Stadien zu lassen, hielt Lauterbach derweil für "völlig realitätsfremd": Wie solle ein Hygienekonzept funktionieren, wenn eigentlich jeder unnötige Kontakt vermieden werden solle, kritisierte Lauterbach.
"Dass es bei täglich 2.000 Neuinfektionen bleibt, halte ich für ausgeschlossen. Dann wird man wieder deutlich weniger oder keine Zuschauer mehr in die Stadien lassen können."
Auch in diesem Punkt lag der SPD-Politiker offensichtlich nicht richtig. Im April war es dann nicht die DFL, sondern die UEFA, die Lauterbach scharf anging. Gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung erklärte er, das Festhalten der Europäischen Fußballunion (UEFA) an der EM sei nicht akzeptabel.
"Das ist verantwortungslos."
"Viel kürzere Verweildauern in Duschkabinen, Hotelzimmern oder Gesprächsräumen" reichten nun "für Infektionen" vollkommen aus. Im Hinblick auf "Long COVID" drohten den Spielern "gesundheitliche Langzeitschäden" und womöglich "das sofortige Karriereende".
Dass zudem an den einzelnen Spielorten auch Zuschauer zugelassen sein sollten, hielt Lauterbach für "eine Form der Erpressung". Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung empörte sich Lauterbach:
"Die UEFA macht es zur Bedingung, dass an den jeweiligen Spielorten Zuschauer zugelassen werden, das ist aus meiner Sicht eine Form der Erpressung."
Seither vergeht kaum ein Tag, an dem der aufgrund seiner Einlassungen zu COVID-19 nicht unumstrittene Gesundheitsökonom keinen Grund zur Kritik am EM-Konzept findet. So forderte er zuletzt aufgrund der Delta-Variante etwa die Verlegung der Wembley-Spiele:
"Die Halbfinals und das Endspiel sollten nicht im Londoner Wembley-Stadion stattfinden, sondern verlegt werden an einen anderen Ort."
Dann sah es der Mediziner als dringend geboten an, die Zahl der Zuschauer für das Achtelfinale der deutschen Mannschaft gegen die britische Auswahl von 45.000 Zuschauern auf 18.000 noch einmal deutlich zu reduzieren. Insgesamt verfügt das Wembley-Stadion über ein Fassungsvermögen von 90.000 Zuschauern. Doch erneut verhallten Lauterbachs Forderungen und Warnungen ungehört.
Nach dem Achtelfinalspiel platzte dem auf dem Kurznachrichtendienst Twitter äußerst aktiven SPD-Mann dann nun offensichtlich der Kragen. Angesichts der Tatsache, wie sich die Zuschauer während des Spiels wohl umarmt und angeschrien hätten, fand Lauterbach deutliche Worte für die UEFA.
"Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende. Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwortlich."
Wie bei allen bisherigen Spielen, schreibt etwa der Evening Standard, können Fußballfans die Spiele im Wembley-Stadion nur besuchen, wenn sie vor dem Einlass einen Impfnachweis oder einen negativen COVID-19-Test vorlegen können.
Mit seiner Kritik am Konzept der UEFA ist Lauterbach derweil keinesfalls allein. So erklärte etwa der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz gegenüber der Süddeutschen Zeitung, er halte es "für bedenklich, wie viele Zuschauer inzwischen in einige Stadien gelassen werden".
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann erklärte laut dem RedaktionsNetzwerk Deutschland u. a., dass jedes der EM-Spiele zum Superspreader-Event tauge. "Dieser Leichtsinn" mache ihn "fassungslos". Dass die Halbfinalspiele und das Finale im von der Ausbreitung der Delta-Variante besonders betroffenen Großbritannien stattfinden sollen, sei "eigentlich nicht zu verantworten".
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