Gewalt gegen Kinder hat im letzten Jahr massiv zugenommen, wie die Polizeiliche Kriminalstatistik anhand der erfassten Fälle zeigt. Demnach sind 152 Kinder gewaltsam zu Tode gekommen, davon waren 115 zum Zeitpunkt des Todes jünger als sechs Jahre. In 134 Fällen erfolgte ein Tötungsversuch.
Mit 4.918 Fällen von Misshandlungen Schutzbefohlener wurde eine Zunahme um zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr registriert. Um mehr als 50 Prozent wuchs die Zahl erfasster Fälle von Kinderpornografie auf 18. 761 Fälle.
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Fälle von Kindesmissbrauch sind ebenfalls enorm gestiegen, pro Tag wurden polizeilich 46 Fälle erfasst.
Stark angestiegen sind mit 53 Prozent auf 18.761 Fälle die Zahlen bei Missbrauchsabbildungen, sogenannter Kinderpornografie. Auch die starke Zunahme bei der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen durch Minderjährige war im letzten Jahr besorgniserregend: Laut PKS hat sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die Missbrauchsabbildungen – insbesondere in den sozialen Medien – weiterverbreiteten, erwarben, besaßen oder herstellten, in Deutschland seit 2018 mehr als verfünffacht – von damals 1.373 auf 7.643 angezeigte Fälle im vergangenen Jahr.
Die jährlichen PKS-Zahlen geben die der Polizei bekannt gewordenen Delikte an. Das Dunkelfeld, also der Anteil an Straftaten, von denen die Polizei keine Kenntnis erhält, ist um ein Vielfaches größer. Schätzungen davon aus, dass in Deutschland pro Schulklasse ein bis zwei Schüler sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren.
Die Taten ereigneten sich nicht alle im vergangenen Jahr, wie Holger Münch, der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), erklärte. Die Statistik ist eine Ausgangsstatistik, erfasst also die Fälle zu einem Zeitpunkt, an dem die Polizei ihre Bearbeitung abschließt. Mehr als ein Viertel der erfassten Straftaten sei nicht 2020, sondern bereits davor geschehen. Ein direkter Zusammenhang zwischen den gestiegenen Zahlen und der Corona-Pandemie sei auch deswegen nicht belegbar, sagte Münch.
Doch auch internationale Zahlen für 2020 zeugen von einer Zunahme der sexuellen Ausbeutung von Kindern online: Laut Europol ist im ersten Corona-Lockdown in Europa der Konsum von Missbrauchsabbildungen um rund 30 Prozent gestiegen. Europol und die britische Internet Watch Foundation (IWF) weisen darauf hin, dass auch das Livestreaming von sexualisierter Gewalt via Webcam aus den häuslichen Kinderzimmern immer mehr nachgefragt wird. Die IWF berichtet für 2020, dass 33 Prozent der kinderpornografischen Webseites Vergewaltigungen oder sexualisierte Folter von Kindern zeigen. 55 Prozent der abgebildeten Kinder sind unter zehn Jahre alt und zwei Prozent sind sogar jünger als zwei Jahre alt. Zweifellos sind diese Zahlen "unerträglich", wie Johannes-Wilhelm Rörig, der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), betonte, denn dahinter steht "unbeschreibliches Leid" von Kindern und Jugendlichen.
Anlässlich des Tags der Gewaltfreien Erziehung verwiesen Kinderschutzorganisationen jüngst erneut darauf, dass körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen per Gesetz unzulässig sind. Rörig verwies darauf, dass Missbrauch und Gewalt gegen Kinder nicht allein in den Randbereichen der Gesellschaft stattfindet und fordert eine massive Personalaufstockung bei Polizei und Justiz.
"Ermittlungen dürfen nicht daran scheitern, dass Durchsuchungsbeschlüsse nicht vollstreckt und Datenträger nicht ausgewertet werden oder tausende Akten bundesweit auf Halde liegen, weil es keine Kapazitäten für ihre Bearbeitung gibt. Hier ist ein Kipppunkt erreicht – wir müssen verhindern, dass das System kollabiert!"
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