Die Debatte entzündete sich an Spahns Aussagen in der Bild am Sonntag zur Sieben-Tage-Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner. Er sagte:
"Im vergangenen Sommer lag sie unter 20. Das sollten wir wieder anstreben. Vorsicht und Umsicht gelten weiterhin."
Unionsfraktionsvize Stephan Stracke (CSU) sekundierte dem Bundesgesundheitsminister. Er sagte der Welt, dass keineswegs das Infektionsschutzgesetz mit den Grenzwerten 100, 50 und 35 geändert werden solle. Stracke erklärte:
"Mit der Zielrichtung von 20 vermeiden wir insbesondere Situationen, in denen Öffnungsschritte bei Überschreiten der gesetzlichen Grenzwerte wieder zurückgenommen werden müssen."
Laut Robert Koch-Institut lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstagmorgen bundesweit bei 58,4, Tendenz abnehmend. Von den Grünen gab es auf Spahns Äußerung sofort Einwände. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte der dpa:
"Allein auf die Inzidenz zu schauen wird in den nächsten Wochen nicht reichen. Auch wenn eine Strategie der niedrigen Infektionszahlen grundsätzlich richtig ist."
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer legte nach und sagte der Welt:
"Mit seinen Spekulationen verbreitet Herr Spahn nur öffentliche Verunsicherung. Die Intensivbetten leeren sich, die schweren Verläufe werden deutlich seltener. Die Gefährdungslage aus einer spezifischen Zahl, sei es 20, 35, 50 oder 100, ist inzwischen eine ganz andere, als das noch Anfang des Jahres der Fall war."
Theurer wies auch Überlegungen von Politikern der Koalitionsparteien CDU und SPD zurück, den Status der epidemischen Lage in Deutschland und damit die Corona-Sonderrechte für die Bundesregierung um weitere drei Monate auszudehnen. "Nach aktuellem Stand gibt es keinerlei Grund", sagte er der Augsburger Allgemeinen.
Auch aus der Links-Fraktion kommt Kritik. Links-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali sagte:
"Konkrete Problemlösung anstatt schwurbeliger Ankündigungen wäre jetzt dringend geboten."
Als Probleme nannte Ali die "ineffektive Testsituationen in Schulen", den Wechselunterricht und den Impfstoffmangel. Die AfD-Fraktion forderte grundsätzlich ein sofortiges Ende aller Lockdown-Maßnahmen.
Noch im März galt bei einer Bund-Länder-Konferenz für Lockerungen der Inzidenzwert von 35. Im Entwurfspapier stand:
"In Regionen, die unter einen Inzidenzwert von 35 kommen, können die Möglichkeiten für private Zusammenkünfte erweitert werden auf den eigenen und zwei weitere Haushalte mit zusammen maximal zehn Personen." Der neue Wert von 20 würde diesen Unions-Vorschlag konterkarieren.
Am 10. Mai freute sich noch der DEHOGA-Präsident Guido Zöllick über Lockerungsmaßnahmen, die mit der neuen 20-ger Inzidenzgrenze wieder eingeschränkt werden würden. Er sagte:
"Nach über sechs Monaten Lockdown gibt es endlich Licht am Ende des Tunnels. Wir freuen uns, schon bald wieder für unsere Gäste da sein zu dürfen."
Laut Gesetzgebungsverfahren ist die Situation jedoch klar: Die Feststellung einer besonderen Lage zur Verlängerung der bisherigen Lockdown-Regeln läuft nach drei Monaten aus, wenn sie vom Bundestag nicht verlängert wird. Spätestens zum 1. Juli wäre somit eine Verlängerung durch einen weiteren Mehrheitlichen Bundestagsbeschluss nötig.
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