Die Co-Vorsitzende der Linken Janine Wissler sorgte am Freitag für Schlagzeilen mit Aussagen in einem Interview für den Spiegel. Darin sagte die 39-Jährige, sie betrachte Hausbesetzungen als "ein legitimes Mittel", um auf Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Gleichzeitig betonte sie, es sei sicher "nicht die Lösung für die Wohnungsnot und auch nicht das massentauglichste Instrument".
"Aber ich finde es problematisch, dass diejenigen kriminalisiert werden, die lange leerstehende Grundstücke und Häuser besetzen oder einer sinnvollen Nutzung zuführen, während diejenigen, die Wohnraum künstlich verknappen und aus spekulativen Zwecken leer stehen lassen, das ungestört tun können", so Wissler.
Das Hamburger Nachrichtenmagazin widmet sich in seiner aktuellen Ausgabe der problematischen Lage auf dem Wohnungsmarkt.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen den Berliner Mietendeckel hat die Diskussion über eine bundesweite Regulierung der Mieten sowie die Befürwortung von Enteignungen in der Bevölkerung angefacht. Nach dem Aus für den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht hatte unter anderem auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) rasches Handeln von der Bundesregierung gefordert.
"Die mittlerweile bundesweit vorherrschende Wohnungsnot muss endlich energisch vom Bund bekämpft werden. Ein von Teilen der Koalition auf Bundesebene gefordertes Mietenmoratorium in Märkten mit angespannter Wohnlage muss zügig auf den Weg gebracht werden", so Müller. "Das ist spätestens für die neue Bundesregierung eine der zentralen Aufgaben."
Im Februar, als der Mietendeckel noch nicht gekippt war, betonte Müller allerdings, dass der rot-rot-grüne Berliner Senat gegen steigende Mieten auf Bauen und Kaufen setze und er Enteignungen nicht befürworte.
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Aufgrund der desaströsen Mietpreissituation und der durch Spekulation in die Höhe getriebenen Immobilien- und Bodenpreise wurde das Thema Wohnen auch von Politikern in Union und SPD zur sozialen Frage unserer Zeit erklärt. Allerdings hat sich das auf Bundesebene im Jahr 2015 eingeführte Instrument der sogenannten Mietpreisbremse für die Mehrheit der Bevölkerung als wenig bis gar nicht wirksam erwiesen. Mieterinitiativen machen darauf aufmerksam, dass ein Zusammenhang zwischen Spenden in Rekordhöhe von der Immobilienwirtschaft an die CDU und mieterschutzfeindlicher Politik naheliege.
Bereits vor der Corona-Krise wurden steigende Mieten für zahlreiche Menschen, deren Einkommen nicht im selben Maße anstiegen, zu einem existenziell bedrohlichen Problem. Schon im Jahr 2018 fehlten einer Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zufolge deutschlandweit 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Durch Kurzarbeit und den weiterhin enormen Niedriglohnsektor in Deutschland ist die Situation angesichts gleichzeitig dennoch massiv wachsender Mietpreise während der Pandemie für viele Menschen noch prekärer geworden, wie unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte.
"Bezahlbarer Wohnraum ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Selbst Menschen, die gar nicht arbeitslos sind, geraten so in die Armutsfalle", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann schon im Dezember.
Noch Ende April betonte beim Business-Frühstück des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen (VBKI) Ehrengast Markus Söder (CSU): Der Berliner Mietendeckel – "das ist sozialistischer Quatsch. Und wenn dir dann noch gesagt wird, dass du möglicherweise enteignet wirst, wird kaum jemand in den Bereich investieren."
Derweil hat die Entscheidung gegen den Mietendeckel dazu geführt, dass solch "sozialistischer Quatsch", also Initiativen zur Enteignung großer Immobilienkonzerne mit überhöhten Wohnungsbeständen, enorm an Zuspruch gewinnt. Wie eine aktuelle Umfrage zeigt, unterstützen immer mehr Berliner die Ziele der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", die große Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften, also gegen eine Entschädigung per Landesgesetz enteignen will.
Die börsennotierte Deutsche Wohnen verfügt über mehr als 120.000 Wohnungen in Berlin. Das Bündnis "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hat bis zum 25. Juni Zeit, Unterstützerunterschriften zu sammeln. Machen sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten mit, also rund 175.000 Menschen, folgt ein Volksentscheid, der wie eine Wahl abläuft. Dieser würde wahrscheinlich parallel zur Abgeordnetenhauswahl am 26. September stattfinden.
Der Sprecher der Initiative, Rouzbeh Taheri, sagte zum Sammelstart im Februar, es sei eine "historische Situation", man könne in Berlin eine beachtliche Zahl von Wohnungen dem profitorientierten Wohnungsmarkt entziehen und unter demokratische Kontrolle bringen.
"Für uns ist es an der Zeit, die Spekulation mit unseren Wohnungen zu beenden und dadurch auch bezahlbare Mieten für alle Berlinerinnen und Berliner zu schaffen", erklärte Taheri.
Seit dem Urteil aus Karlsruhe befürworten solche Enteignungen inzwischen 47 Prozent der Wahlberechtigten in Berlin, während 43 Prozent dagegen sind. Im November letzten Jahres, kurz vor der Verhängung der Mietpreisbremse, stimmten noch 61 Prozent der Berliner gegen das Volksbegehren. Eine von Infratest Dimap im Auftrag der rbb-Abendschau und der Berliner Morgenpost durchgeführte Umfrage zeigt, dass mittlerweile 57 Prozent aller Wähler unter 40 Jahren für die Enteignung sind. Demnach sind weiterhin 75 Prozent aller Berliner für eine bundesweite Mietpreisbremse, bei den Mietern liegt die Zustimmung bei 80 Prozent.
Mehrere Bündnisse planen Aktionen, um weiter für die Vergesellschaftung von knappem Wohnraum zu werben. Auch Taheri merkt an, dass die Enteignungsinitiative seit dem Urteil stärkeren Zulauf erfahren habe. "Wir spüren große zusätzliche Unterstützung."
Die Umsetzung könnte trotz aller Unterstützung eine komplexe Aufgabe werden, da die Besitzfrage aufgrund verschachtelter Besitzstrukturen höchst intransparent und damit unklar sei, wie viele private Firmen, Hedgefonds oder sonstige Gesellschaften Wohnraum besitzen. Der Berliner Senat gab zwölf privatwirtschaftliche Unternehmen an, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen.
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