Der Linguist Peter Eisenberg gehört zu den namhaftesten deutschen Sprachwissenschaftlern. Viele Bücher, die der heute 80-Jährige in den 1980er und 1990er Jahren geschrieben hat, gelten heute als Standardwerke der deutschen Grammatik. In den letzten Jahren trat Eisenberg zunehmend als scharfer Kritiker der "Genderisierung" der deutschen Sprache in Erscheinung.
In einem Interview mit der Berliner Zeitung nannte die Verfechterin der Sprachreform und Autorin des Buches "Genderlinguistik", Damaris Nübling, ihre Kritiker eine "wütende Gruppe älterer Männer", die "zurück in die Vergangenheit wollen". Eisenberg reagierte nun in einem Interview, das am Mittwoch ebenfalls in der Berliner Zeitung erschien, auf die Äußerungen von Nübling. Er widersprach den Argumenten der Genderlinguistin in Hinblick auf das generische Maskulinum und die Anwendung des Gendersternchens.
Ihm zufolge sei das generische Maskulinum – entgegen den Vorwürfen, Frauen "unsichtbar" zu machen – dennoch geschlechtsneutral. Dabei sei das generische Maskulinum etwas ganz Besonderes. "Es liegt ein wenig außerhalb unseres normalen logischen Denkens." Eisenberg verglich es mit dem Präsens und zog den auf die Zukunft bezogenen Satz in Präsensform "Morgen besucht sie ihn" als Beispiel heran.
"Das Präsens existiert unabhängig von einem Zeitbezug. Etwas Ähnliches gibt es auch in anderen grammatischen Kategorien, bei Singular und Plural etwa. Man kann sagen: Der Löwe ist ein Raubtier. Das ist Singular, aber nicht Einzahl."
Demnach hat das Maskulinum im Unterschied zum Femininum die Möglichkeit einer sexusunabhängigen Verwendung. Rezeptionstests, denen zufolge man sich beim generischen Maskulinum in Wirklichkeit nur Männer vorstellt, kritisierte Eisenberg als realitätsfern.
"Wenn Sie in einem Text lesen, dass es unter den Amerikanern fast keine Impfverweigerer mehr gibt, dann ist vollkommen klar, dass sowohl das Wort Amerikaner als auch die Impfverweigerer geschlechtsunabhängig verwendet werden. Oder: Der BND stellt immer mehr Frauen als Spione ein. Oder: Die Syrer sehnen sich nach Frieden. Da sind doch nicht nur die Männer gemeint. Das weiß jeder und versteht es richtig."
Ihm zufolge würden von den Verfechtern der gendergerechten Grammatik insbesondere Berufsbezeichnungen "mit Feuer und Schwert" bekämpft. Deren Zahl im Deutschen sei mit ungefähr 10.000 Wörtern besonders hoch. Dabei seien sie gar nicht das generische Maskulinum im engeren Sinne, sondern dessen Prototyp, denn diese Wörter bezeichnen Personen, die etwas Bestimmtes tun. "Wenn Sie sagen: Ich gehe zum Bäcker, dann ist völlig egal, was das für einer ist." Beide Formen zu verwenden, sei dabei zu umständlich.
"Wenn es darauf ankommt, nennt man beide Formen. Aber wenn man immerzu Bäckerinnen und Bäcker schreiben würde, wäre der Leser nach 20 Seiten so abgenervt, dass er das Buch zur Seite legt."
Angesprochen auf die Möglichkeit, statt des generischen Maskulinums substantivierte Partizipien zu verwenden, sagte der Sprachwissenschaftler, dass dies die Sprache unnötig verzerre.
"Wenn ich das versuchsweise ernst nehmen würde bei einem Satz wie: Die Streicher und Bläser der Berliner Philharmoniker gehören weltweit zu den besten, dann wird daraus: Die Streichenden und die Blasenden der Berliner Philharmonikerinnen und Philharmoniker gehören … Das ist kein Deutsch. Es ist einfach absurd zu behaupten, dass die Partizipiensubstantive generell verwendbar seien."
Auch Gendersterchen oder das Binnen-I sind für den renommierten Linguisten keine Lösung. Er wies auf den Umstand hin, dass die Verfechter der neuen Rechtschreibung das Gendersternchen vor die Feminin-Endung setzen. "Warum muss man erst die feminine Form bilden, wenn sich das Wort auf Personen beliebigen Geschlechts beziehen soll? Die Advokaten des Gendersterns wollen keinen Ausgleich, sie wollen Macht", sagte Eisenberg.
Seine Gegner in der Sprachwissenschaft bezeichnete er als "Genderfraktion" und warf ihnen vor, die deutsche Sprache zu verachten. Die "Genderfraktion" gehe demnach grundsätzlich davon aus, dass die deutsche Sprache krank, reparaturbedürftig, undemokratisch oder gesetzwidrig sei. "Das schmerzt, manchmal wird es beunruhigend. Sie verachten die deutsche Sprache, sonst könnten sie sich nicht derartig an ihr vergreifen." Er fügte hinzu:
"Hätten wir in der DDR nicht dieselbe Sprache gehabt wie in der alten Bundesrepublik, dann hätte die Vereinigung nicht funktionieren können, wie sie immerhin funktioniert hat."
Eisenberg wies dabei auf den Sprachseparatismus in Europa hin, denn überall seien aus Sprachgrenzen Nationalgrenzen geworden. "Nur die Deutschen haben eine Vereinigung, und das haben sie auch der deutschen Sprache zu verdanken. Anderthalb Generationen Trennung haben die deutsche Sprache trotz aller Bemühungen des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands nicht gespalten. Aber jetzt könnte das geschehen."
Am 29. April veröffentlichte die Berliner Zeitung für ihre Abonnenten das Interview mit der Linguistin Damaris Nübling "Wie geschlechtergerechte Sprache das Selbstverständnis älterer Männer angreift". Später erschien der Text in der kostenlosen Variante beim Berliner Abendblatt.
Auf Kritiker wie Eisenberg angesprochen, sagte Nübling, dass es verstörend sei, wenn man jahrhundertelang qua Geschlecht im Besitz von Privilegien war und nun eine Demokratisierung stattfindet, bei der Frauen und nicht binäre Personen sich plötzlich zu Wort melden und mitreden.
"Das stellt diejenigen, die bis dahin alles bestimmt haben und dies weitgehend immer noch tun, also meist ältere Männer, in ihrem Selbstverständnis infrage. Der Verein Deutsche Sprache ist für mich der Inbegriff dieser beharrenden, konservativen, wütenden Gruppe, der jetzt das genommen wird, von dem sie dachte, dass es ihr zusteht. Kein Wunder, dass diese Leute zurück in die Vergangenheit wollen."
Ihr zufolge sei das generische, also geschlechtsübergreifende Maskulinum eine Fiktion. Das hätten rund 20 Studien und Tests bewiesen. "In sogenannten Rezipiententests wird zum Beispiel eine Gruppe gebeten, drei Schauspieler zu nennen. Dann fallen in aller Regel nur die Namen von Männern. Fragt man dagegen nach Schauspielerinnen und Schauspielern, werden auch Frauen genannt."
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Der Linguist Peter Eisenberg, geboren 1940 in Strausberg, ist Mitglied im Rat für deutsche Rechtschreibung. Bis 2005 war er Professor für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam. Sein 1986 veröffentlichter "Grundriss der deutschen Grammatik" ist ein Standardwerk, unter seiner Federführung entstand 1998 die 6. Auflage der Duden-Grammatik. 2008 erhielt Peter Eisenberg für seine Verdienste um die deutsche Grammatik den Konrad-Duden-Preis, 2015 erhielt er den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa und 2019 den Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache für seine "herausragenden Leistungen zur Erforschung der deutschen Grammatik".
Damaris Nübling, geboren 1958, ist Professorin an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. In den letzten Jahren widmet sich die Sprachwissenschaftlerin zunehmend der Problematik der gendergerechten Sprache. Im Jahr 2018 erschien ihr Buch "Genderlinguistik" und im Jahr 2019 der Aufsatz "Genus und Geschlecht".