Auf welche Seite wird sich Berlin im Konflikt zwischen China und USA stellen?

Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China sind derzeit so intensiv wie nie zuvor. Die transatlantischen Meinungsmacher versuchen Druck auf Berlin auszuüben, damit die Bundesregierung die "Chinafrage" aus dem Blickwindel der Sicherheitspolitik des "Wertewestens" betrachtet.

Nach einem Telefonat zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping Anfang April betonte die deutsche Seite die Bedeutung des Dialogs mit China. Die Chinesen wiesen dabei auf die höchste Dringlichkeit der "strategischen Autonomie Europas" hin, damit überhaupt eine konstruktive Beziehung zwischen China und europäischen Staaten möglich werde. 

Solange beide Seiten aber die jeweiligen "Kerninteressen respektieren" und "auf der Basis der Gleichbehandlung und Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten" kommunizieren, könnten sie günstige Bedingungen für eine weitere reibungslose Entwicklung der Kooperation schaffen, erklärte vor Kurzem auch Chinas Ministerpräsident Li Keqiang.

In einem Beitrag geht die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) der Frage der Beziehungen zwischen Deutschland und China im Kontext der geopolitischen Machtverschiebungen auf der Welt nach und will dabei erkannt haben, dass China hinsichtlich der bilateralen Beziehungen zwischen Peking und Berlin besser aufgestellt sei, insbesondere seit der Corona-Pandemie. Denn mit der Pandemie sei die zuvor ohnehin große ökonomische Abhängigkeit Berlins von der aufstrebenden Macht in Fernost noch gewachsen. "Die Deutschen brauchen die Chinesen derzeit mehr, als es umgekehrt der Fall ist." Seit dem Jahr 2015 ist China der wichtigste Handelspartner Deutschlands. 

"Das Handelsvolumen betrug im vergangenen Jahr 212 Milliarden Euro. Vor allem die deutsche Industrie kam wegen des chinesischen Marktes vergleichsweise ungeschoren durch die Pandemie. Jedes der 30 DAX-Unternehmen erwirtschaftet durchschnittlich 15 Prozent seines Umsatzes in China; bei den Autokonzernen sind es 20 Prozent. Jeder vierte aus Deutschland exportierte Neuwagen wurde 2020 nach China verschifft."

"Große Abhängigkeiten" gibt es laut einer Studie des Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Europa allerdings auch hinsichtlich der Importe. Gezeigt haben das, so NZZ, zuletzt etwa Masken- und Schutzbekleidung.

"Insgesamt betrifft die Abhängigkeit gemäß dem Merics-Report 103 Produktgruppen – von Vitamin B über das Antibiotikum Chloramphenicol bis hin zu diversen Halbleiter-Verarbeitungen."

Diese Situation ist für die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ein Beleg für die von  Chinas konzipierte Strategie der "doppelten Zirkulation": Die "doppelte Zirkulation" ge­nannte Strategie umfasse zwei zentrale Elemente. Erstens solle China vom Ausland unabhängiger werden, indem es seine in­ländische Produktion und Nachfrage stärke. Zweitens würde man sicherstellen, dass China für internationale Produktionsnetzwerke unverzichtbar bleibe. Die Volks­republik wolle sich also von anderen Märk­ten lösen, während diese von chinesischen Lieferungen abhängig bleiben sollten.

Aufgrund des Handelsvolumens stellt die NZZ fest, dass sich die Gewichte deutlich von einer Kooperation hin zu einer Rivalität zwischen Europa und China verschoben hätten. Peking versuche "offensiv", die zuletzt von Europa wiederentdeckte "Wertepartnerschaft" mit den USA zu unterminieren. Während die Transatlantiker versuchen, gegen China mobilzumachen, räumt die schweizerische Zeitung ein, dass laut Meinungsumfragen bei Infratest dimap Ende 2020 nur 17 Prozent der Deutschen dem langjährigen Alliierten USA in einem Konflikt mit China beispringen würden, sich dagegen 77 Prozent gern heraushalten wollten. 

Da Deutschland mutmaßlich in Europa vom Handel mit den Chinesen am meisten profitiert, argumentiert die Zeitung, sei Berlin wohl die treibende Kraft hinter dem zwischen der EU und China zum Jahresende 2020 abgeschlossenen Investitionsabkommen (CAI) gewesen. Bei diesem Abkommen stimmt die europäische Seite einem erweiterten Zugang zu europäischen Märkten zu, wenn im Gegenzug für europäische Unternehmen auf dem chinesischen Markt gleiche Regeln gelten wie für Unternehmen aus der Volksrepublik. 

"Etwas mutiger" sei die deutsche Politik zuletzt beim neuen IT-Sicherheitsgesetz aufgetreten. Dieses sei als eine Art Anti-Huawei-Gesetz gedacht. Es räumt der Regierung ein Vetorecht ein, wenn etwa ein Ausrüster für das 5G-Mobilfinknetz als nicht vertrauenswürdig eingestuft werde. Im vergangenen Jahr wurden laut NZZ mehrere Übernahmen durch China oder Exporte nach China wegen Sicherheitsbedenken in Deutschland verboten, darunter fielen die IMST GmbH (Satelliten und Radartechnologie) sowie die Mynaric AG (Datentransport via Laser im Weltall).

Das grundsätzliche Problem Deutschlands sei dem NZZ-Autor zufolge die Entscheidung, in welchem Team Deutschland spielen wolle. Je intensiver ein mächtiger werdendes China mit den USA rivalisiere, desto stärker werde der Druck auf Berlin, sich endlich politisch zu erklären. Mit anderen Worten: Die Chinafrage sollte in erster Linie als eine Sicherheitsfrage für den sogenannten Wertewesten gesehen werden. Dass Deutschland für sich Vorteil aus dem Handel mit China zieht und dass sich die absolute Mehrheit der Deutschen laut Umfragen gern aus dem möglichen Konflikt der USA mit China heraushalten würden, spielt dabei offenbar keine Rolle.

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