Mehr Macht für Merkel? – CDU-Politiker Röttgen: "Ministerpräsidentenkonferenz ist dysfunktional"

Die Diskussionen um eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes laufen. Zahlreiche Unions-Politiker wollen die Kompetenzen der Bundesregierung ausbauen – zu Ungunsten der Länder. Um Norbert Röttgen formiert sich eine neue Initiative, die Druck auf den Koalitionspartner SPD ausübt. Die geplante Ministerpräsidentenrunde mit Kanzlerin Angela Merkel am kommenden Montag wurde abgesagt.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen hat den Vorstoß für mehr Rechte des Bundes im Kampf gegen die COVID-19-Pandemie verteidigt. Mittlerweile forderten zahlreiche namhafte Unions-Politiker – darunter auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, der CDU-Vorsitzende Armin Laschet und der CSU-Vorsitzende Markus Söder – eine Übergabe von mehr Kompetenzen von den Bundesländern zur Bundesregierung. Zur Umsetzung wurde eine erneute Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes vorgeschlagen.

Zur konkreten Umsetzung hat Röttgen nun gemeinsam mit zwei weiteren CDU-Parlamentariern, Johann Wadephul und Yvonne Magwas, eine Initiative zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf den Weg gebracht. Röttgen äußerte gegenüber der Welt:

"Zu Beginn der Krise war die Entscheidungsfindung in der Ministerpräsidentenkonferenz okay. Doch sie ist inzwischen dysfunktional geworden."

Der CDU-Politiker argumentierte, man könne nicht sehen, "dass die Länder schärfere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergreifen". Gleichzeitig sei "jede Handlungsmöglichkeit des Bundes bislang ausgeschlossen". Daher sei es nun die Verantwortung des Gesetzgebers, dass diese Lücke geschlossen werde. Die Zeit dränge für eine Reform des Infektionsschutzes, denn "je länger wir warten, desto größer werden die Schäden".

Der Vorstoß von Röttgen, Wadephul und Magwas sieht vor, "dem Bund (zusätzlich) dieselben Handlungsmöglichkeiten zu geben wie den Ländern, nämlich durch Rechtsverordnung die Durchsetzung der nationalen Ziele des Infektionsschutzgesetzes zu gewährleisten". Röttgen betonte, dass man die Reform des Infektionsschutzes so gestalten könne, dass die Zustimmung des Bundesrates nicht erforderlich sei – etwa als "nicht zustimmungspflichtiges Einspruchsgesetz". Der CDU-Politiker ist sich sicher:

"Es ist an der Zeit, wieder zu der politischen Entscheidungsfindung, wie sie im Grundgesetz vorgesehen ist, zurückzukehren."

Röttgens Initiative wird von insgesamt 52 Unions-Abgeordneten unterstützt. Nach Informationen der Welt hatten sich Röttgen, Wadephul und Magwas an insgesamt 100 Abgeordnete von CDU und CSU gewandt. Deren Auswahl sei jedoch willkürlich erfolgt. Angeschrieben wurden wohl diejenigen, die in der Vergangenheit ein Schreiben von Röttgen unterstützten, in dem chinesische Sanktionen gegen EU-Abgeordnete kritisiert wurden. Zu den Unterstützern zählen unter anderem der ehemalige Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Volker Kauder, der Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter, der Vorsitzende des EU-Ausschusses Gunther Krichbaum sowie der Vorsitzende des Petitionsausschusses Marian Wendt (alle CDU).

Die Initiatoren richten sich nun an die Unions- und SPD-Fraktion insgesamt und erwarten, dass diese tätig werden. Röttgen macht deutlich:

"Wir könnten im Optimalfall schon in der nächsten Woche eine Koalitionsfraktionsinitiative einleiten. Die Koalitionsfraktionen müssen jetzt Farbe bekennen."

SPD skeptisch – Kritik von Opposition

Aus der SPD sind bislang eher skeptische Stimmen zur Röttgen-Initiative zu vernehmen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, kritisierte vor allem die "Vielstimmigkeit" der Union, die die Bürger verunsichere:

"Armin Laschet denkt laut, Markus Söder wirkt planlos, und jetzt verwirrt Röttgen auch noch seine eigenen Reihen. Währenddessen entdeckte die Kanzlerin bei Anne Will das Infektionsschutzgesetz, welches sie in den Verhandlungen mit uns nie ändern wollte. Vielmehr bremste die Union sämtliche konstruktiven Vorschläge aus, insbesondere das Kanzleramt."

Die SPD hatte sich in der Vergangenheit mehrfach für Änderungen am Infektionsschutzgesetz starkgemacht, aber lediglich kleinere Korrekturen erreicht. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Johannes Fechner, ist offen für konkrete Änderungen des Infektionsschutzgesetzes. Er betonte, die SPD könne sich "einen klaren Stufenplan im Infektionsschutzgesetz vorstellen, der konkreter vorgibt, wann welche Maßnahmen greifen". Konkret hieße das:

"Bei einfachem Infektionsschutzgeschehen könnte etwa eine Maskenpflicht angeordnet werden, bei ganz schwerem Infektionsgeschehen auch Kita- und Schulschließungen."

Als Kriterien könnten laut Fechner "der Inzidenzwert, der R-Wert, die Auslastung der Intensivstationen oder die Sterblichkeitsrate berücksichtigt werden". Allerdings warnt er, dass eine solche Verordnung "nur mit Zustimmung des Bundestags erlassen werden" könne.

Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) lehnt laut dpa mehr Befugnisse für den Bund in der Corona-Krise eindeutig ab. Die Bundesregierung solle keinen "Kompetenzstreit mit den Ländern" führen und sich lieber "um ihre originären Aufgaben kümmern, bei denen sie bisher leider versagt hat". Als Beispiele nennt Stamp, "ausreichend Impfstoff" zu besorgen, "kindgerechte Selbsttests" zu ermöglichen und "eine praxistaugliche App auf den Weg zu bringen".

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) reagierte mit Zurückhaltung auf die Unions-Initiative. Vor allem kritisierte er, dass die Thüringer Landesregierung "keinerlei Kenntnisse von so einem Planungsvorhaben" habe. Seit Februar habe "die Ministerpräsidentenkonferenz schriftlich um die Vorlage eines deutschlandweit gültigen Regelwerks gebeten". Bislang habe das Bundeskanzleramt "keinen Entwurf vorgelegt". Ramelow sieht keinen Bedarf, das Infektionsschutzgesetz erneut zu ändern:

"Man kann auf dem derzeitigen Infektionsschutzgesetz so einen Stufen- und Rahmenplan aufbauen. Dazu muss man den langen Weg der Gesetzesänderung und Bundesratsbeteiligung gar nicht gehen."

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters wird es am kommenden Montag keine Ministerpräsidentenkonferenz geben. Nach Angaben der Nachrichtenagentur sollen die bestehenden Beschlüsse fortgelten und die Länder damit ihre Zuständigkeit behalten.

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